Hochaktuelle poetische fesselnde Geschichte über Glauben, Identität und die Türkei
Kein und Aber, 2017, 560 Seiten
Inhalt:
Die Rahmenhandlung spielt 2016 im heutigen Istanbul, bei dem die 35jährige Peri auf dem Weg zu einer Abendgesellschaft beraubt wird. Bei diesem Überfall fällt der Tochter ein Foto der Mutter in die Hände, das sie als Studentin mit zwei Freundinnen und dem gemeinsamen Professor in Oxford zeigt. Diese Vergangenheit als Studentin hat Peri bisher vor allen verborgen gehalten, denn sie hat Oxford verlassen, ohne das Studium abzuschließen.
Die blutige Auseinandersetzung auf der Straße und zu viel Wein später inmitten der wohlhabenden, doch in latenter Angst vor dem Staat lebenden und feiernden Gesellschaft führen Peri in Gedanken zurück in ihre Kindheit und nach Oxford.
Diese Kindheit in den 80er Jahren ist vom Streit um den richtigen Umgang mit Gott geprägt. Der Vater ist streng weltlich. Atatürks Portrait hängt überall im Haus. Peris Mitter nimmt dagegen ihren Glauben zunehmend ernster. Sie verbietet der kleinen Peri sogar Schuhe, da Leim aus Schweineknochen enthalten sein könnte. Peri muss mit Sandalen in die Schule gehen.
Zwischen diesen beiden extremen Polen versucht Peri ihre eigene Antwort auf die Frage nach Gott zu finden. Während die Eltern sich täglich zu Hause bekriegen und der geliebte Bruder wegen seiner politischen Aktivitäten gefoltert und schließlich ins Gefängnis geworfen wird, will Peri alles richtig machen. Sie flüchtet sich ins Lernen und Lesen und schließt die Schule als Jahrgangsbeste ab. Damit erfüllt sich ein Traum ihres Vaters: Peri stehen die Türen für ein internationales Studium offen.
Ihre Zeit in Oxford wird durch zwei Freundinnen bestimmt, mit denen sie schließlich auch zusammen in eine Wohnung zieht: Shirin, Iranerin, und Mona, Ägypterin. Die eine liberal, die andere religiös. Alle drei sind von ihrem Professor fasziniert – Azur, der Bücher über Gott veröffentlicht und Seminare dazu abhält. Peri, die Philosophie studiert, erhofft sich hier Antworten auf die Fragen, die sie seit ihrer Kindheit verfolgen.
Die 45jährige Politikwissenschaftlerin Elif Shafak thematisiert immer wieder das Leben muslimischer Frauen zwischen Tradition und Moderne, zwischen religiös geprägten Moralvorstellungen und dem Wunsch nach Selbstbestimmung. Dabei gibt sie den verschiedenen Lebensentwürfen ihren Raum, ohne zu werten.
Thema und Sprache:
Die Entwicklungsgeschichte von Peri ist gleichzeitig spannend erzählt, feinsinnig und berührend. Dazu liefert Shafak Einblicke in die Türkei und deren heutige Gesellschaft, mit der sich Peri arrangieren muss: „Wie ein geschickter Schneider hatte die Zeit die beiden Stoffe, die Peris Leben umhüllten, nahtlos zusammengenäht: das, was die anderen von ihr dachten und das, wie sie von sich hielt. “ Für das Thema des Buches und die Sprache hat die Gruppe unisono Bestnoten verteilt.
Aufbau und Dramaturgie:
Der Einstieg ins Buch ist mitreißend, und Peris Geschichte bleibt bis zum Schluss spannend. Allerdings hat das Buch im zweiten Teil Längen. Der Professor bleibt als Figur blass, die Studienzeit in Oxford samt ihrem dramatischen Finale wirkt damit auch eher unglaubwürdig und ist aus unserer Sicht der schwächste Teil des Romans.
Schade auch, dass die drei Freundinnen in ihren langen und kontroversen Diskussionen in Oxford keine neuen und überzeugenden Argumente für ihre persönliche Lebensweise und ihren Umgang mit Gott finden. Dementsprechend fand unsere Gruppe den Aufbau und die Dramaturgie auch nicht ganz überzeugend.
Bewertung:
Ungeachtet dieser kleinen Schwächen hat jede/r aus unserer Gruppe Elif Shafaks Buch gerne gelesen und zu Ende gelesen. Mit einer Gesamtnote von 4 von 5 möglichen Punkten schafft der „Geruch des Paradieses“ in Summe damit eine der besten Noten der vergangenen 12 Monate. (ut)