Literatur am Abend: Montag, 12. Juni, 19.30 Uhr
Ned Beauman - Der gemeine Lumpfisch

Abb. © Verlag
Buchkritik

Nathan Hill: "Geister“

Mitreißender US-Roman, der Psychologie und Zeitgeschehen geschickt zu verbinden weiß
Piper Verlag, 2016, 864 Seiten


Der Debütroman von Nathan Hill erschien 2016 in den USA unter dem Titel „The Nix“. Viel Lob von Seiten der Kritik, aber auch von seinem Mentor John Irving wecken hohe Erwartungen. Irving hat Hill sogar mit Charles Dickens verglichen. Autor Hill, laut Wikipedia 1978, laut Verlag 1976 in Iowa geboren, hat zehn Jahre an diesem Roman gearbeitet. Donald Trumps Wahlerfolg verstärkt noch das Interesse an dem Roman, da er quasi die aktuellen Geschehnisse in der US-Innenpolitik vorwegzunehmen scheint. “The Nix“ wird direkt in zwanzig Sprachen übersetzt.


Inhalt und Aufbau:
In seinem sehr umfangreichen Erstlingsroman entwirft der Autor ein Panorama der USA zwischen den Jahren 1968 und 2011 und verwebt dieses mit einer Mutter-Sohn-Geschichte.


Im Zentrum steht das Trauma eines verlassenen Kindes und die Weitergabe dieses Traumas über nachfolgende Generationen hinweg. In zehn Kapiteln und einem Prolog verbindet Hill die Schicksale von bald einem Dutzend Personen.


Protagonist des Romans ist Samuel, der weder als Schriftsteller noch als Literaturdozent zu reüssieren weiß und dann plötzlich nach 23 Jahren seiner Mutter wiederbegegnet. Diese wird in der Presse als Terroristin hochstilisiert, da sie (scheinbar) einen Angriff auf den rechtskonservativen republikanischen Präsidentschaftskandidaten begeht. In Rückblenden erfahren wir dann von den wahren Beweggründen von Samuels Mutter und ihrer Entwicklung als Jugendliche und Studentin in Chicago, wo sie zur unfreiwillig Beteiligten der Studentenrevolte wird. Neben diesem Erzählstrang werden aber auch die anderen Figuren sehr eigenständig gezeichnet. Alle Schicksale laufen zum Schluss zusammen und werden vom Erzähler gebündelt.


Stil und Sprache:
Der Autor zeigt in seinem Debütroman eine Fülle von Stilebenen. So verleiht er jeder Figur eine eigene Sprache, die diese eindeutig in ihrer Lebens- und Gedankenwelt situiert. Die Spannbreite reicht hier vom stream of consciousness der Figur des Pwnage, der mühsam der Welt der Computerspiele abzuschwören versucht, über den einer Spielanleitung gleichen tragikomischen Dialog zwischen dem Protagonisten Samuel, der sich in seiner Funktion als Literaturdozent mit der dummdreisten Studentin Laura Pottsdam auseinanderzusetzen hat bis hin zur atemlosen Schilderung der Ereignisse der Studentenrevolte in Chicago im Jahre 1968 in äußerst kurzen, konzentrierten Kapiteln.


Bewertung:
Insgesamt erhielt dieser Roman von fast allen Mitgliedern großes Lob und wurde von den meisten sehr gern gelesen. Dabei gab es aber auch durchaus kritische Stimmen, die dem Plot eine gewisse Konstruiertheit vorwarfen. Dass der Erzähler alle Figuren am Schluss zusammen zu zwingen versucht, schade der Glaubwürdigkeit. Zudem sei die Handlung in Norwegen zu wenig ausgeführt und falle deutlich gegenüber anderen Handlungssträngen ab. Auch schien einigen die Beziehung des Protagonisten zu seiner Mutter nach ihrer Wiederbegegnung zu wenig ausgestaltet und psychologisch zweifelhaft. Trotz dieser Einschränkungen erzielt das Buch fast durchweg sehr hohe Wertungen. Lediglich von einer Leserin wurden nur 1,8 Punkte vergeben. Die Wertungen der anderen Mitglieder bewegen sich von 3,4 bis mehrheitlich im Bereich 4 Punkte (von maximal 5) und höher. (mm) (mm)

 

Weitere Kritiken:

Hernan Diaz: Treue
Edouard Louis: Anleitung ein anderer zu werden
Eckhard Nickel: Spitzweg
Daniel Schreiber: Allein
Marie NDiaye: Die Rache ist mein
Jonathan Franzen: Crossroads
Stephan Thome: Pflaumenregen
Alex Schulman: Die Überlebenden
Mithu Sanyal: Identitti
Christian Kracht: Eurotrash
Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne
Ayad Akhtar: Homeland Elegien
Annette Mingels: Dieses entsetzliche Glück
Deniz Ohde: Streulicht
Adam Haslett: Stellt euch vor, ich bin fort
Mario Vargas Llosa: Harte Jahre
Birgit Birnbacher: Ich an meiner Seite
Adeline Dieudonné: Das wirkliche Leben
Ulrich Tukur: Ursprung der Welt
Dror Mishani: Drei
Eugen Ruge: Metropol
Ocean Vuong: Auf Erden sind wir kurz grandios
John Ironmonger: Der Wal und das Ende der Welt
Annette Hess: Deutsches Haus
Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall
Monica Sabolo: Summer
Nell Zink: Virginia
Annie Ernaux: Erinnerung eines Mädchens
Maria Cecilia Barbetta: Nachtleuchten
Stephan Thome: Gott der Barbaren
Fernando Aramburu: Patria
João Tordo: Die zufällige Biographie einer Liebe
Ayelet Gundar-Goshen: Lügnerin
Robert Menasse: Die Hauptstadt
Yaa Gyasi: Heimkehren
Edna O’Brien: Die kleinen roten Stühle
Lauren Groff: Licht und Zorn
Franzobel: Das Floß der Medusa
Julian Barnes: Der Lärm der Zeit
Dorit Rabinyan: Wir sehen uns am Meer
Ian McEwan: Nussschale
Elif Shafak: Der Geruch des Paradieses
Han Kang: Die Vegetarierin
Steven Galloway: Der Illusionist
Jane Gardam: Ein untadeliger Mann
Elena Ferrante: Meine geniale Freundin
Joost Zwagerman: Duell
Dietmar Dath: Leider bin ich tot
Sascha Reh: Gegen die Zeit
Andreas Kollender: Kolbe
Yiyun Li: Schöner als die Einsamkeit
Monique Schwitter: Eins im andern
Maylis de Kerangal: Die Lebenden reparieren
Harper Lee: Gehe hin, stelle einen Wächter
Nadifa Mohamed: Black Mamba Boy
Amos Oz: Judas
Ludwig Winder: Der Thronfolger
Patrick Modiano: Gräser der Nacht
Carl Nixon: Settlers Creek
David Peace: GB84
Hilary Mantel: Die Ermordung Margaret Thatchers
Jhumpa Lahiri: Das Tiefland
Yasmina Reza: Glücklich die Glücklichen
Margriet de Moor: Melodie d'amour
Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah
Michael Chabon: Telegraph Avenue
Daniel Galera: Flut
Elizabeth Strout: Das Leben natürlich
Terézia Mora: Das Ungeheuer
Uwe Timm: Vogelweide
Leon de Winter: Ein gutes Herz
Ned Beauman: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beförderung eines Menschen von Ort zu Ort
Juli Zeh: Nullzeit
Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Richard Ford: Kanada
Jenny Erpenbeck: Aller Tage Abend
Stephan Thome: Grenzgang
Ursula Krechel: Landgericht
Stephan Thome: Fliehkräfte
Clemens J. Setz: Indigo
Vea Kaiser: Blasmusik Pop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam
Germán Kratochwil: Scherbengericht
Véronique Olmi: In diesem Sommer
Toine Heijmans: Irrfahrt
Thomas von Steinaecker: Das Jahr, in dem ich aufhörte mir Sorgen zu machen und anfing zu träumen
Annette Pehnt: Chronik der Nähe
Anna Katharina Hahn: Am Schwarzen Berg
Olga Grjasnowa: „Der Russe ist einer, der Birken liebt
Eugen Ruge: „In Zeiten des abnehmenden Lichts“
Judith Schalansky: Der Hals der Giraffe
Edmund de Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen
Aravind Adiga: Letzter Mann im Turm
Mario Vargas Llosa: Der Traum des Kelten
Javier Cercas: Anatomie eines Augenblicks
Thomas Wolfe: Die Party bei den Jacks
Zsuzsa Bánk: Die hellen Tage
Michel Houellebecq: Karte und Gebiet
Jonathan Lethem: Chronic City
Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer
Doron Rabinovici: Andernorts
Ian McEwan: Solar
Marie N´Diaye: Drei starke Frauen
Hans-Ulrich Treichel: Grunewaldsee
Richard Price: Cash
Colum McCann: Die große Welt
Kathrin Schmidt: Du stirbst nicht
Leon de Winter: Das Recht auf Rückkehr

Alle Buchkritiken