Suhrkamp Verlag, Berlin 2015, 464 Seiten
Vor einem Jahr haben wir „Fliehkräfte“ von Thome gelesen – und dabei nur mittelmäßige Noten vergeben. Die Ehe- und Lebenskrise des Bonner Professors Hartmut Hainbach fanden wir kaum interessant, den Protagonisten wenig sympathisch, die Story ohne Dramaturgie und Spannung.
Gegenspiel ist das komplette Gegenteil: Ein spannender, anrührender, dramatischer (Ehe-)roman.
Voller Sympathie begleitet der Leser die Hauptfigur Maria-Antonia Pereira auf der Suche nach einem Lebensentwurf. Die gute Tochter aus verstaubtem Haus erlebt als Teenager den kompletten Umbruch aller Werte in Portugal, das gerade der Diktatur entflieht. Sie startet ein Studium in Berlin und flieht in die Westberliner Hausbesitzerszene. Sie beginnt eine Liaison mit einem angehenden Theaterregisseur, der im Privaten wenig emphatisch ist, und trifft schließlich den verlässlichen, zielorientierten Hartmut Hainbach. Maria endet samt Kind in einem Reihenhaus in Bonn. Das Leben als Ehefrau und Mutter bringt sie an ihre Grenzen, bis sie als fast 50jährige zurück nach Berlin ans Theater flieht.
Diese sehr glaubwürdige Geschichte erzählt Thome – und das ist ja seine große Stärke – nicht linear, sondern verwebt sie in Vor- und Rückblenden zu einem Lebens-Kaleidoskop, in das auch Marias Eltern, Tochter, Ex-Freunde und Kollegen mit ihren Geschichten verwoben sind. Sukzessive taucht der Leser immer tiefer ein in Marias Vergangenheit, ihre Verletzungen und ihre Träume. Dazu kommt die sehr realistische Beschreibung einer Ehe mit all ihren Gefühlen und Erwartungen und Missverständnissen.
Diese Lebensgeschichte beschreibt Thome ruhig und äusserst realistisch. Die vielen Szenen, ob in Lissabon, im mauergeteilten Berlin oder dem Bonner Reihenhaus, sind plastisch, die Dialoge treffend.
Leserinnen werden vieles wieder erkennen. Männer werden ihre Partnerinnen besser kennenlernen. Für mich ist „Gegenspiel“ eines der besten Bücher seit langem. Eine glatte Empfehlung. (ut)