Buchkritik, Rezension
Dana von Suffrin: Nochmal von vorne
Mit herrlich schwarzem Humor und zuweilen herzergreifend erkundet die Autorin die Geschichte eines jüdischen Vaters, der aus Israel nach Deutschland stolperte. Uns hat der Roman überwiegend gut gefallen. Der Humor macht viel Freude, die eingestreuten historischen Ereignisse störten aber für einige den Lesefluss.
Abb. © Verlag
Bewertung der hamburgerShortlist:
3.7 von 5 Punkten
Buchkritik von dd
Ein starker Roman über das Leben und Überleben von zwei Schwestern in einer dysfunktionalen Familie
Kiepenheuer & Witsch, 2024, 240 Seiten
Handlung:
Die Erzählerin Rosa muss nach dem Tod ihres Vaters dessen Wohnung auflösen und begegnet im Hinterlassenen der eigenen Familiengeschichte. Ihr Vater Mordi wurde in einer jüdischen Familie in Siebenbürgen geboren und wanderte als Kind mit seinen Eltern nach Israel aus.
Mordi, der begabte Absolvent eines Chemiestudiums hatte akademische Ambitionen und hofft in Deutschland bessere Aussichten vorzufinden. Doch er stolpert im Wortsinne vor die Füße von Elisabeth, die seine Frau werden sollte. Sie, die jugendlich in Israel einen Freiwilligendienst absolviert hatte, hoffte mit Mordi eine ihren Interessen ganz entsprechende Zukunft zu haben. Aber die Phantasien eines spannenden, erfüllenden Lebens erfüllten sich nicht. Nicht für Elisabeth, nicht für Mordi und -wenig verwunderlich- haben auch ihre beiden Kinder Rosa und ihre Schwester Nadja große Schwierigkeiten sich zurechtzufinden.
In rückblickenden Miniaturen lernen wir die Geschichte dieser in München lebenden, maximal dysfunktionalen Familie kennen: Wie die Großeltern die Schoa überlebten und nach Israel auswanderten. Wie Vater und Mutter sich kennenlernten, entfremdeten und in einem langen Ehekrieg vor dem Hintergrund der Traumata ihrer Vorfahren aneinander abarbeiteten. Wie die beiden Schwestern in ewiger Rivalität und sturem Selbstbehauptungswillen sich unverstanden fühlten. Zentrales Thema des Romans aber bleibt der geliebte, tragische Vater, eine ganz und gar ungeschickte Figur. Dazwischen sind historisch authentische Szenen aus der „großen Geschichte“ eingestreut, die nur auf den ersten Blick wenig mit der Familiengeschichte zu tun haben.
Zsasa, die wunderbare Großmutter aus Siebenbürgen, inzwischen hochbetagt in einem trostlosen Altersheim in Israel lebend, versucht der Familie aus Deutschland einen roten Faden in die Hände zu geben wenn sie immer wieder „Nochmal von vorn“ zu erzählen beginnt. Doch sie schafft es nicht mehr, ein stimmiges Narrativ zu hinterlassen. Alles bleibt Stückwerk, eine Abfolge von grotesken, tragisch-traurigen, enttäuschenden, komischen und manchmal zarten, sehr berührenden Geschichten.
Über die Autorin:
Dana von Suffrin, 1985 in München geboren, hat in München, Neapel und Jerusalem Politikwissenschaft, Jüdische Geschichte und Kultur sowie Literaturwissenschaft studiert. Ihr Vater stammt aus Siebenbürgen und ist schließlich aus Israel nach Deutschland gekommen. Sie ist promovierte Historikerin und verfasste ihre Dissertation über zionistische Vorstellungen zur Bepflanzung von Eretz Israel.
Bereits ihr erster Roman „Otto“ hatte einen Vater als Hauptfigur, enthielt zahlreiche autobiografische Bezüge und wurde von der Kritik vielfach gelobt und mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet.
So klingt der Roman:
Dana von Suffrin beschreibt hat einen wunderbar schwarzen Humor, der immer wieder auflachen lassen. In zuweilen lakonischem Stil, immer authentisch und glaubwürdig stellt sie uns die handelnden Personen vor. Das Buch ist jedoch keine Komödie. Immer wieder gelingt es ihr, uns die Figuren in ihren Motiven sehr nah werden zu lassen.
Der Roman wird sozusagen rückwärts erzählt. In kleinen und größeren, nicht selten kuriosen, manchmal erschütternden Episoden lernen wir die Familie kennen. Eigentlich würde man gern mehr von ihnen erfahren. Als Historikerin streut sie in die narrativen Rückblicke historische Miniaturen ein, die scheinbar unverbunden mit der Erzählung bleiben.
Dana von Suffrin ist es ein Mittel, das Buch zu einer tief gehenden Erkundung über die Frage zu machen, was Geschichte mit uns anstellt und wie sich „transgenerational“ fortsetzen kann, was in der Gegenwart vielfach unsichtbar bleibt.
Bewertung:
Uns hat der Roman überwiegend gut gefallen. Ihr schwarzer Humor machte viel Freude beim Lesen. Die Figuren empfanden wir als glaubwürdig und ohne kurzschlüssige Schuldzuweisungen gezeichnet.
Viele Fragen blieben offen oder stellten sich, was ja auch ein Anzeichen richtig guter Literatur sein und neugierig auf Neues von Dana von Suffrin machen kann. Die in die Erzählung eingestreuten historischen Ereignisse wurden hingegen unterschiedlich bewertet. Mancher Leserin unterbrach es das Lesevergnügen, anderen war gerade diese Eigenart ein Weg zu vertieftem Verstehen der handelnden Personen. Insgesamt haben wir das Buch mit 3,75 gut bewertet und halten es für sehr lesenswert.