Buchkritik, Rezension
Daniela Krien: Mein drittes Leben
Eine Mutter verliert ihre Tochter mit 17 Jahren. Ihre Trauer ist so umfassend, dass sie ihr bisheriges Leben nicht fortsetzen kann. Mit Mühe kämpft sie sich Stück um Stück wieder in einen normalen Alltag und in ihre Ehe zurück. Die Mitglieder der hamburger shortlist hat dieses Buch tief beeindruckt. Lindas Geschichte zeigt die Fragilität des Lebens und stellt die eigenen Gewissheiten in Frage.
Abb. © Verlag
Bewertung der hamburgerShortlist:
3.9 von 5 Punkten
Buchkritik von ut
Die Vergänglichkeit des Menschen und die Möglichkeit, trotz aller Widerstände Glück zu finden
Diogenes, 2024, 304 Seiten
Handlung:
Der Roman wird aus der Sicht der Mutter erzählt, deren Tochter mit 17 Jahren gestorben ist. Die Trauer ist so umfassend, dass Linda ihr bisheriges Leben in der Leipziger Wohnung nicht fortsetzen kann. Sie zieht in ein leerstehendes Haus eines ostdeutschen Straßendorfs.
Dort lebt sie zurückgezogen, verbringt viel Zeit im Garten, hat wenige Kontakte zu den Nachbarn und versinkt immer mehr in ihrer Trauer. In Rückblenden erfahren wir mehr über die Tochter, die Beziehung der beiden und den Unfall.
Ab und zu bekommt Linda Besuch von ihrem Mann, einem Künstler, der sie aber nicht dazu bewegen kann, zurückzukommen und der schließlich eine Beziehung zu einer anderen Frau anfängt. Der einzige weitere Kontakt ist zu Natascha, einer lebensfrohen Frau, und deren behinderter Tochter.
Als sie wegen einer Kündigung gezwungen wird, ihre Bleibe auf dem Land aufzugeben, muss sie zurück nach Leipzig. Dort kämpft sie sich Stück um Stück wieder in einen normalen Alltag und in ihre Ehe zurück.
Über die Autorin:
Daniela Krien hat in diesem Roman viel Autobiographisches verarbeitet.
Die 49jährige Autorin kommt aus Mecklenburg-Vorpommern und lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Leipzig. In einem Interview erzählt die sehr sympathische Autorin, dass auch sie aktuell ihr drittes Leben lebt. Ihre Tochter ist seit einem Impfschaden behindert. Zum Thema Trauer hat sie viel recherchiert.
So klingt der Roman:
Im Rahmen dieser Recherche stellten sich für Daniela Krien vor allem eine große Leere, die viele Trauernde empfanden, und die Sinnlosigkeit des Weiterlebens als wichtigste Elemente der Trauer heraus. Der Roman wurde von der Presse hochgelobt. „Das ist ein großer Stoff, der hier mit sprachlicher Eleganz und psychologisch treffend inszeniert wird“ findet so etwa Deutschlandfunk Kultur. Andere sehen hier auch einen einfühlsamen Eheroman, denn Linda und ihr Mann müssen oder dürfen ihre Beziehung neu entwerfen. Erzählt wird die Geschichte überzeugend und ohne unnötige Beschönigungen.
Trauer und Krankheit bestimmen das Leben der Heldin. Das ist nicht immer einfach zu lesen, macht melancholisch und auch Angst. Mitunter erschreckt auch Lindas Gnadenlosigkeit gegenüber sich und anderen, vor allem anderen Frauen.
Bewertung:
Auch die Mitglieder der hamburger shortlist hat dieses Buch tief beeindruckt. Lindas Geschichte zeigt die Fragilität des Lebens und stellt damit auch die eigenen Gewissheiten in Frage.
Ihre Schilderung der Muttergefühle, der späteren abgrundtiefen Trauer, aber auch der Liebe zur ihrem Mann fanden wir sehr eindrucksvoll und berührend. Nicht so viel anfangen konnten wir mit der Schilderung der Leipziger Kunstszene, die früher Lindas früher berufliche und private Heimat war. Das ist Daniela Krien zu ausführlich geraten.
Krien zeigt auch, wie einsam Schicksalsschläge machen können, weil es Freunden an den richtigen Worten fehlt und sie sich daher zurückziehen. Dennoch gibt es für die Protagonistin immer wieder Hoffnung. In all dem Leid schafft es letztendlich das Normale, manchmal auch Schöne, durchzudringen. Das fanden wir sehr beruhigend. Wir bewerten „Mein drittes Leben“ unisono gut bis sehr gut und vergeben in Summe 3,9 von 5 möglichen Punkten.