Buchkritik, Rezension
Dorit Rabinyan: Wir sehen uns am Meer

Die Liebe der jüdischen Autorin zu einem Maler aus Palästina in New York. Der Plot ist wenig spannend, die Geschichte chronologisch, die Sprache teils anstrengend. Doch die Ich-Erzählerin zeigt die Konflikte auf, die sich aus den unterschiedlichen Kulturen und politischen Ansichten der beiden Liebenden ergeben.






Abb. © Verlag

Bewertung der hamburgerShortlist:

3.0 von 5 Punkten




Buchkritik von sp

Moderne Romeo und Julia-Story
Kiepenheuer & Witsch 2016, 379 Seiten


Hintergründe
Die Autorin Dorit Rabinyan widmet das Buch dem 2003 ertrunkenen palästinensischen Maler Hasan Hourani, den sie persönlich kannte und dem sie nach seinem Tod einen berührenden Farewell Letter schrieb. Auch lebte sie selbst für ein Jahr in New York und lernte in Brooklyn eine Gruppe von Palästinensern kennen. So ist die dem Buch zugrundeliegende Geschichte über Chilmi und Liat in weiten Teilen die Liebesgeschichte von Hasan Hourani und Dorit Rabinyan. Allerdings gibt die Autorin in einem Interview an, dass diese Liaison nur das Fundament des Buches sei, der Rest sei Fiktion.


In der Presse wird die Story als moderne Fassung von Romeo und Julia gesehen. Eher handelt es sich aber wohl um die zwei Königskinder, die nicht zu einander kommen können, da das Wasser zu tief ist und der Königssohn nicht schwimmen kann.


Der Klappentext des Verlages verspricht eine Liebesgeschichte vor einem politischen Nahost-Konflikt. Tatsächlich spielt der Hauptteil des Romans in New York. Nur das Ende, ab Kapitel 29 von 37 und damit auf 62 von 379 Seiten, spielt sich überhaupt vor Ort in Nahost, unter anderem in Tel Aviv, Jaffa und Hebron ab.


Dass das israelische Bildungsministerium das Buch auf den Index setzte und es ablehnte, den Roman als Lektüre in der Schule zu empfehlen, ist in der deutschen Presse negativ aufgenommen worden, zumal das Buch den Bernstein-Preis der israelischen Verlegerorganisation erhalten hatte. Begründet wurde die Entscheidung des Ministeriums damit, dass die Geschichte über eine Liebe einer Jüdin zu einem Palästinenser bzw. nichtjüdischem Mann die separate Identität der Juden bedrohe und die Assimilation fördere. Das Buch stand jedoch auf der Liste der zehn besten Bücher des Jahres der Tageszeitung „Ha’aretz“. Die Autorin ist auf dem internationalen Literaturfestival in Berlin im September 2017 zu Gast und stellt ihr Buch vor.


Begrenzte Liebe
Von Beginn an macht die jüdische Ich-Erzählerin Liat deutlich, dass die Liebesbeziehung mit dem aus Hebron stammenden Chilmi zeitlich mit ihrem Wegzug aus New York enden muss und sich nur noch in den Köpfen abspielen kann. Sie kann damit die Sympathien der Leser nicht für sich gewinnen, sondern diese gelten dem Künstler Chilmi, welcher der Liebe eine Chance geben will. Während Liat keine Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt sieht, wünscht Chilmi sich ein harmonisches Miteinanderleben der unterschiedlichen Kulturen in einem Land.


Diese politischen Dimensionen, die von der Ich-Erzählerin aus der israelischen Sicht immer wieder aufgegriffen werden, sind interessant und der politische Konflikt und die Liebesgeschichte sind sehr gut miteinander verknüpft. Die starke Bindung der Jüdin an ihre Familie und ihr Heimatland wird überaus deutlich.


In der doch recht lang umschriebenen Liebesgeschichte des ersten Teils („Herbst“) sind trotz zahlreicher Be- und Umschreibungen die Persönlichkeiten der beiden Protagonisten aber nicht hinreichend klar umrissen, insbesondere nicht die der Ich-Erzählerin. Fraglich bleibt, woher die erotische Faszination füreinander kommt, sodass die Liebesbeziehung nicht glaubhaft erscheint. Insgesamt nimmt diese zu viel Raum ein und plätschert fast immer gleichbleibend vor sich hin. Erst zum Ende hin kann der Leser mit den Liebenden mitfiebern, ob sie letztlich noch dauerhaft werden zusammenleben können.


Der zweite Teil („Winter“), der mit über 200 Seiten den längsten Part des Romans ausmacht, ist hingegen viel besser gelungen. Wie die beiden Protagonisten den für sie ungewöhnlich harten Winter erleben, ist sehr gut beschrieben. Die Ich-Erzählerin gibt zahlreiche Beispiele für die Konflikte auf, die sich aus den unterschiedlichen Kulturen und politischen Ansichten der beiden Protagonisten ergeben. Dies wurde zum Teil jedoch als zu konstruiert und plakativ empfunden, zumal die Geschichte kurz nach dem 11. September 2001 in New York spielt.
Während das Ende für viele nicht überraschend war oder als zu einfache Konfliktlösung angesehen wurde, war dies für andere Leser bis zum Ende spannend und die Geschichte ein Leseerlebnis mit Herzklopfen.


Bewertung
Das Buch bewertete die Gruppe mit 3 Punkten in der Gesamtbenotung. Sein Thema wurde mit knapp 4 von 5 Punkten als interessant eingestuft und auch Stil und Sprache der Autorin erhielt überdurchschnittliche 3,3 Punkte, wenngleich die überbordende, sehr bildhafte Sprache zum Teil als anstrengend empfunden wurde. Demgegenüber wurden der Aufbau als eher einfach (2,6 Punkte) eingeschätzt, da der Roman fast rein chronologisch aufgebaut ist, und der Plot als wenig spannend (2,6 Punkte) eingestuft.