Buchkritik, Rezension
Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne

Eltern müssen entscheiden, ob sie ihre Kinder genetisch verändern, um ihnen eine bessere schulische Ausbildung zu ermöglichen. Das Thema ist gut und regt zum Nachdenken an. Aufbau und Dramaturgie, Plot und Sprache gefielen uns aber weniger gut.






Abb. © Verlag

Bewertung der hamburgerShortlist:

2.7 von 5 Punkten




Buchkritik von Sp

Sind Roboter die besseren Menschen? Dystopie mit wenig Lichtblicken

Karl Blessing Verlag, 2021, 350 Seiten


Der Plot
Klara ist eine KF, eine künstliche Freundin für Teenager. Aus ihrer Perspektive erzählt der Autor seinen Roman, der in einem Spezialgeschäft für Roboter beginnt.

Die 13jährige Josie, ein Mädchen aus recht wohlhabendem Hause, entscheidet sich zum Kauf von Klara.


Der Roman spielt in einer dystopischen Zukunft, in der die Gesellschaftsordnung verändert ist. Eltern müssen entscheiden, ob sie ihre Kinder genetisch verändern, um ihnen eine bessere schulische Ausbildung zu ermöglichen. Kinder, die nicht „gehoben“ sind, haben weniger Zukunftschancen, können die meisten Colleges nicht besuchen und den Schulunterricht kaum finanzieren.


Josie, so erfährt man im Laufe des Buches, ist Infolge der Hebung ihrer Intelligenz häufig krank und körperlich schwach. Sie droht wie ihre Schwester Sal daran zu sterben. Während die Eltern von Josie Vorkehrungen für die Trauerverarbeitung im Falle des Todes ihrer zweiten Tochter treffen, arbeitet Klara daran, eine Heilmethode für Josie zu finden und einen Pakt mit der Sonne zu schließen.


Zum Autor
Kazuo Ishiguro (67) hat einen fiktiven Roman mit Science-Fiction-Elementen geschrieben. Er will damit auf die ethischen Fragen rund um künstliche Intelligenz und die damit verbundenen Veränderungen der Persönlichkeit von Menschen aufmerksam machen.

Ishiguro, der früher als Sozialarbeiter tätig war und sich bis heute für soziale Projekte engagiert, erhielt für seinen Weltbestseller „Was vom Tage übrig blieb“ den Booker Prize und 2017 den Nobelpreis für Literatur. Schon in 2005 hat er sich in seinem Roma „Alles, was wir geben mussten“ mit dem Zukunftsthema „Klonen und Organhandel“ beschäftigt.


Kaum Drama bei gleichmäßiger Empathie
Vor allem im ersten Teil des Romans sind Klaras Beobachtungen in eher einfacher Sprache gehalten. Das mag zum Thema passen: Klara ist auf die Gefühlswelt von Teenagern programmiert. Doch Klara wirkt hier wie auch im zweiten Teil des Buches auf den Leser eher langweilig; eine Figur, die mit wenig Charakter ausgestattet ist und deren Verhalten sowie Empathie für die Menschen immer gleich sind. Sie ist devot gegenüber den Menschen sowie stets hilfsbereit und bemüht, die Gefühle von Josie und allen Menschen um sie herum zu verstehen und bei Bedarf zwischen ihnen zu vermitteln.

Eine größere Entwicklung der künstlichen Freundin, die trotz Programmierung immer weiter dazu lernen und viel beobachten soll, kann bis zum Ende des Romans kaum entdeckt werden. Vielmehr scheint ihre Figur zum Teil nicht ganz stimmig und rund beschrieben zu sein, zumal sie als Automat bzw. Computer Furcht empfindet, mal supernaiv ist, mal übermenschlich.


Auch der Autor traut sich in diesem Roman keine starken Entwicklungen und Konflikte zu. Er meidet ein schicksalhaftes Ende, setzt lieber auf ein – konstruiert wirkendes und zu schnelles – Happy End. Ein zunächst aufgebauter Spannungsbogen bleibt ohne befriedigende Lösung.


Insgesamt kamen die ethischen Aspekte, insbesondere hinsichtlich künstlicher Intelligenz und ihres Einflusses auf menschliches Verhalten, zu kurz.


Technikphilosophische Ansätze sind kaum erkennbar. Dadurch, dass der Autor zahlreiche Aspekte im Roman absichtlich auslässt, rätselt der Leser lange, was es mit Begriffen wie „gehoben“, „KF“ und „B3“ sowie mit der Krankheit von Josie auf sich hat oder, weshalb Josie’s Vater nicht mehr in seiner alten Arbeitsstätte tätig ist.


Die Sonne, die vermutlich als roter Faden des Buches gedacht ist, und ihre – wie Klara naiv annimmt – direkt heilende Wirkung auf Lebewesen, vermag keinen Lichtblick auf die nicht näher beschriebene Dystopie, die offenbar vorherrscht, zu werfen. Das Ende des Buches erscheint selbst für einen Zukunftsroman unrealistisch.


Gleichwohl regt der Roman zum Nachdenken an und war in Teilen berührend. Zahlreiche ethische Fragen zum Thema künstliche Intelligenz hätten aber noch besser abgearbeitet werden können.


Bewertung
Obwohl das Buch klar in sechs Teile gegliedert und chronologisch aufgebaut ist, wurden Aufbau und Dramaturgie mit durchschnittlich 2,3 von fünf Punkten am schlechtesten bewertet - und entsprechend der Roman auch nicht gern gelesen. Dies gilt auch für den mit 2,5 Punkten bemessenen Plot. Die durchweg eher jugendliche Sprache sowie das Weglassen von Personalpronomen und die Darstellung von Akzenten wie etwa bei der Haushälterin beurteilten wir mit 2,7 Punkten nur durchschnittlich, zumal von einem dermaßen renommierten Autor mehr erwartet worden war. Demgegenüber wurde das Thema des Romans als sehr interessant empfunden und mit 3,6 Punkten honoriert. Insgesamt ergab die Gruppenbewertung 2,7 Punkte.