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Judith Herrmann - Wir hätten uns alles gesagt

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Buchkritik

Ayad Akhtar: "Homeland Elegien“

Muslimisches Lebens in den USA: Eine Suche in Gesprächen, Begebenheiten, Situationen

Claassen Verlag, 2020, 464 Seiten

Darum geht es
Heimat, Zugehörigkeit, Identität – Pulitzer-Preisträger Ayad Akhtar fügt aus Mosaiksteinen autobiografischer Berichte und fiktionaler Erzählungen ein großes Gesellschaftspanaroma der USA als einem zusehends zerrissenen Land zusammen. Wo in dieser Suche nach sich selbst die Grenzen zwischen Wahrheit und literarischer Freiheit verlaufen, verrät der Autor seinen Leser*innen nicht. Sicher aber ist: Wie sein Alter Ego im Roman wuchs auch Ayad Akhtar als Sohn pakistanischer Einwanderer im Mittleren Westen der USA auf, und schaffte auch Akhtar mit einem vieldiskutierten Theaterstück über einen muslimisch-amerikanischen Blick auf die Anschläge vom 11. September den Sprung auf die große Bühne der Literatur.


Das Thema hat den Autor seither nicht mehr losgelassen. Und so lässt er die Leser*innen seiner „Homeland Elegien“ teilhaben an Gesprächen, Begebenheiten, Situationen seines Lebens, die alle um die eine Frage kreisen: Wie kann man heimisch sein und werden in einem Land, in dem viele nicht erst seit den Trump-Jahren mit teils unterschwelliger, teils offener Ablehnung auf Muslime blicken?


Akhtars Mutter träumt von der Rückkehr nach Pakistan – ein verklärter Blick in die vergangene Jugend, der, von einer befreundeten Familie wahrgemacht, im Albtraum des Jihad endet. Der Vater wird als Kardiologe für kurze Zeit zum Leibarzt von Donald Trump und findet Karriere und Ehre am Ende in einem von Rassismus geprägten Prozess zerschlagen. Oder Riaz, der als tollkühner Finanzjongleur die Gier des Kapitalismus für Moschee-Projekte einsetzen will. Die Antworten auf die große Frage des Buches sind so verschieden wie die Menschen, die Ayad Akhtar zeichnet. Am Ende wird klar: Er selbst wird ein Suchender bleiben.


So klingt der Roman
Ayad Akhtar wechselt gekonnt zwischen biografischem Bericht, einfühlsamer Erzählung und pointierten Dialogen. Theatermann, der er ist, gelingen ihm insbesondere in den Schilderungen seiner Erlebnisse am 11. September und der Gerichtsverhandlung gegen den Vater im ländlichen Wisconsin bildmächtige Szenen, die im Gedächtnis bleiben.


Das ist unsere Meinung
Die in der veröffentlichten Kritik häufig thematisierte Frage nach Wahrheit und Fiktion spielte in der Diskussion der Shortlistler*innen nur eine untergeordnete Rolle. Zu beeindruckt war der größte Teil der Runde von den eindringlichen Schilderungen des alltäglichen Rassismus. Die Technik, mit der Ayad Akhtar aus einer Vielzahl kleiner Szenen ein großes Bild schafft, wurde meistenteils ebenso gelobt. Ob der Roman auch die deutsche Debatte um strukturelle Ausgrenzung und Integration befördern kann, musste im Shortlist-Zirkel offenbleiben. Jedenfalls aber wird, wer Akhtars „Homeland Elegien“ gelesen hat, ein tieferes Verständnis der politischen und gesellschaftlichen Situation in den USA entwickeln.


Fazit
3,3 von maximal 5 möglichen Punkten haben die „Homeland Elegien“ erreicht. Neben vielen noch besseren Bewertungen gab es auch einzelne Stimmen, die sich mit Sprache und Struktur – vor allem der englischen Originalfassung – nicht recht anfreunden konnten. ()

 

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