Geschichte eines jungen Ex-Häftlings
Paul Zsolnay Verlag, 2020, 304 Seiten
Die Geschichte:
Arthur, 22, hat 2 Jahre Haft wegen Internet-Betruges hinter sich und tritt sein Resozialisierungsjahr in Wien an. Dazu gehört nicht nur die therapeutische Wohngemeinschaft inklusive Tagesstruktur und Gesprächsrunden, sondern auch Gespräche mit dem Sozialarbeiter und alkoholkranke Möchtegerntherapeut Konstantin „Börd“ Vogl.
Dies bildet den Rahmen für erzählerisch verstreute Rückblenden in Arthurs Kindheit, Elternhaus und Jugend. Die führt auf unkonventionellem Weg vom Kleinbürgermief in die Wohlstandsverwahrlosung. Die unterschwelligen Konflikte einer adoleszenten Dreiecksbeziehung führen zum Unfalltod seiner Freundin. Seiner Trauer durch eine fast plakative Beziehungslosigkeit schutzlos ausgeliefert, betrügt man ihn um sein letztes Geld. Dies ebnet ihm, zusammen mit kafkaesken bürokratischen Hindernissen am Aufbau einer bürgerlichen Existenz, den Weg in die Cyberkriminalität.
Bei der Job- und Wohnungssuche scheitert Arthur immer aufs Neue an seiner Vorstrafe. Eingestreute, nicht humorfreie Schnappschüsse aus der Obdachlosenhilfe und dem sozialen Wohnungsbau bieten Blicke in eine Zukunft, die so gar nicht zum schüchternen und im Grunde anständigen Arthur passen wollen.
Einzig die abschließende Wiedervereinigung mit seinem älteren, „verlorenen“ Bruder, der alle Insignien eines respektablen Lebens aufweist, könnten Arthur noch retten.
Stil & Sprache:
Wir waren uns einig, dass die Sprache zweckmäßig, aber auch nicht besonders schön ausfällt.
Plot & Dramaturgie:
Viele konnten der Handlung trotz einiger Zeitsprünge gut folgen. Einigen machten die Rück- und Vorwärtsblenden dagegen besonders den Einstieg in den Roman schwer. Die Schwere der Strafe im Verhältnis zum Delikt bei einem sehr jungen Erststraftäter störte ebenso, insbesondere diejenigen Leser mit juristischem Fachwissen. Als erschütternd, aber realistisch bewerteten wir die fehlende Führung des Jugendlichen und später adoleszenten Arthur ins Erwachsenenleben. Bei so viel Sozialrealismus gefielen uns allerdings die satirischen Szenen besonders. Dass Resozialisierung, konträr zum Klappentext, nicht das Thema des Romans und obendrein unzureichend recherchiert war, störte einige. Die empathische Figurenzeichnung war anderen wiederum ein begeisternder Ausgleich.
Bewertung:
Die Gesamtwertung von 3,5 spiegelt die überwiegend positive Rezeption von „Ich an meiner Seite“ wider.
Die intensive Diskussion um die Güte der Recherche, aber auch um die Glaubhaftigkeit der Hauptfigur und ihrer Motive, sowie Spekulationen um die mögliche Zukunft Arthurs, die der Roman offenlässt, hinterließ bei denjenigen, die den Roman nicht gelesen hatten, den Wunsch, das Lesen nachzuholen – keine Selbstverständlichkeit. (ak)