Satirisch, unpsychologisch, provokant
Rowohlt Verlag 2019, 320 Seiten
Die Geschichte:
Die androgyne Peggy studiert an einem Frauencollege im Virginia der 1960er Jahre und interessiert sich eigentlich für Frauen und Literatur, als ihr homosexueller Lyrikdozent Lee eine Affäre mit ihr beginnt. Die daraus entstehende Schwangerschaft zwingt die beiden zur Heirat. Ein abgebrochenes Studium, zehn Jahre und zwei Kinder später hält die chronisch betrogene Peggy es nicht mehr aus und taucht abrupt mitsamt ihrer kleinen Tochter Mickie unter. Sohn Byrdie bleibt bei Lee und wird in der typischen Mentalität und mit den typischen Insignien des Südstaaten-Landadels erzogen – ganz der Herkunft seines Vaters entsprechend.
Peggy besetzt indes ein leerstehendes, baufälliges Haus und ernährt sich von abstrusen Jobs. Die Erziehung ihrer Tochter finanziert sie durch einen makaberen Kniff: Mickie nimmt die Identität eines verstorbenen schwarzen Mädchens an und kommt in den Genuss verschiedener Förderungen im Zuge der gerade aufgehobenen Rassentrennung. Doch als beide Kinder schließlich aufs College gehen, kommt es zu einem Wiedersehen der Familie unter –natürlich - absurden Umständen.
Stil und Sprache:
Manch einem war die Sprache zu schlicht und stakkatohaft, andere fanden den amerikanischen Stil ohne viele Schachtelsätze erfreulich leserfreundlich. Die Übersetzung vieler faszinierender Aphorismen ins Deutsche (Michael Kellner) wirkt indes außerordentlich gelungen.
Plot & Dramaturgie:
In der Idee hochinteressant und spritzig, waren wir von der Umsetzung umso mehr enttäuscht, je weiter die Handlung voranschritt: Der Roman hätte mehr Ausschmückung und Hindernisläufe vertragen. Beim Ende waren sich einige nicht sicher, ob es der beißenden Satire von „Virginia“ nun die Krone aufsetzen sollte oder der Kitsch ein Versehen der Autorin darstellt.
Gelacht wurde indes häufiger, die Lesbarkeit ließ nicht zu wünschen übrig.
Bewertung:
Nell Zink ist eine amerikanische Spätzünderin der Literatur mit extravaganter Biographie. Sie lässt eigene Erfahrungen aus dem Virginia ihrer Kindheit zum provokanten Beitrag zur zeitgenössischen Gender- und Herkunftsdebatte geraten.
Eine Realsatire als Roman, ein Roman als Realsatire? Ob man als Deutscher die Absurdität der US-amerikanischen Gender- und Rassenverhältnisse jemals so recht fassen kann, blieb in unserer Runde offen. Die durchschnittliche Bewertung von 3,1 (max. 5,0) bestätigte dies. Amüsiert hat der Roman dabei allemal! (ak)