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Buchkritik

Julian Barnes: "Der Lärm der Zeit“

Komponist zerbricht an diktatorischem Regime
Kiepenheuer und Witsch, 256 Seiten


Der britische Autor Julian Barnes hatte 1984 mit dem Roman „Flauberts Papagei“ seinen literarischen Durchbruch. In seinen Büchern beschäftigt er sich regelmäßig mit Literatur, Kultur und dem Unterschied zwischen Sein und Schein. Viele seiner Werke haben zudem einen geschichtlichen Bezug.
„Lärm der Zeit“ passt genau in diesen Themenbereich. Der Autor nimmt den Leser sehr einfühlsam mit in die Gefühls- und Gedankenwelt des russischen Komponist Dimitri Schostakowitsch und zeigt auf, wie sehr die politischen Gegebenheiten und Ereignisse seine musikalischen Werke und sein Leben beeinflussen.


Dimitri Schostakowitsch wurde 1906 in Petrograd (Petersburg) geboren und komponierte bereits als elfjähriger seine ersten Werke.1936 erklärte ihn Stalin wegen seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ zum Staatsfeind. Die Angst vor dem Regime bestimmt fortan sein Leben. Widerstrebend folgt Schostakowitsch mit seinen Kompositionen und seinem Lebens als Künstler den herrschenden und wechselnden Leitlinien der russischen Kulturpolitik.


Schostakowitsch, zeigt Barnes, beugt sich der politischen Macht, um seine Familie zu schützen, weiter arbeiten zu können und um nicht in Gefangenschaft zu geraten. Äußerlich ist er ein gefeierter Mann, eine Persönlichkeit. Seine Musik wird gerühmt, er bekommt wichtige Ämter und herausragende Auszeichnungen. Doch Schostakowitsch zerbricht an seinem Leben, weil er verachtet, was aus ihm geworden ist.


Inhalt:
Das Buch, dem ein Prolog vorangestellt ist, gliedert sich in drei Abschnitte (Lebensphasen).


Auf der Treppe: Dimitri Schostakowitsch sitzt nächtelang mit gepacktem Koffer neben dem Aufzug. Er rechnet mit seiner Abholung durch den Geheimdienst. Die Bedrohung durch die politischen Machthaber lassen ihn nicht schlafen. Gedanken jagen durch seinen Kopf und gehen zurück in die Vergangenheit, seine Kindheit, seine erste Liebe zu Tanja. Seine erste Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ entsteht. Auf der einen Seite wird die Oper international gefeiert, auch in der UdSSR, jedoch später von Stalin verurteilt. Stalins Ablehnung ist der Grund für seine momentane bedrohliche Lebenssituation.


Im Flugzeug: „Dies war die schlimmste Zeit“, so beginnt der zweite Abschnitt des Buches, die Zeit seines Schaffens hauptsächlich unter Stalin. Bei der Reise in die USA, nach New York zum Weltfriedenskongress hat er zwiespältige Gefühle. Er wird unter Druck gesetzt, mit der russischen Delegation mitzufliegen. Das erhoffte Gefühl von Freiheit bleibt aus. Die Reise verläuft nicht so frei wie gedacht sondern eher demütigend.

Schostakowitsch beginnt „realistische“ Musik zum Wohle des Volkes zu komponieren, Sinfonien und auch Filmmusiken. Dafür bekommt er etliche sowjetische Auszeichnungen. Er steht unter ständiger Beobachtung und tritt gegen seine Überzeugung der kommunistischen Partei bei. Dadurch erhält er einen Posten im sowjetischen Komponistenverband. So schützt er sich und seine Familie und kann so seine Existenz sichern. Eigentlich möchte er aber sein Leben der Musik widmen und komponieren.


Im Auto: Schostakowitsch lebt wohlsituiert in Moskau. Chruschtschow ist an der Macht. Die politische Situation ist leichter geworden. Er sitzt im Auto hinter seinem Chauffeur und betrachtet ihn von hinten. Seine Gedanken wanderten zurück. Seine Frau Nina war gestorben, von der zweiten hat er sich scheiden lassen und die dritte war nur zwei Jahre älter als seine Tochter. Schostakowitsch ist krank, verkannt, verehrt, verunsichert und mit sich unzufrieden.


Bewertung:
Die Gesprächsrunde zu diesem Buch war sehr engagiert und angeregt, weil die Positionen und Betrachtungsweisen sehr unterschiedlich waren. Wer eine Beziehung zur Musik und ein Hintergrundwissen zu Schostakowitsch hatte war sehr berührt und angetan. Anderen fehlten historische oder musikalische Bezüge.
Insgesamt kam eine gute Bewertung von 3,6 zustande, wobei einzelne Bewertungen zwischen 1 – 5 schwankten. Das Thema, Stil und Sprache und der Aufbau der Handlung wurden gut bewertet, und das Buch wurde von den allermeisten gern gelesen.
ho (sp)

 

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