Spannend, verstörend, aber auch berührend
Aufbau Verlag, 190 Seiten
»Ich hatte einen Traum« erklärt Yong-Hye - in den Augen ihres eigenen Ehemannes bis dahin durchschnittlichste Frau der Welt - als sie beschließt, Vegetarierin zu werden. Sie verzichtet fortan auf alle tierischen Produkte in ihrem Leben. Die bis dahin ohnehin leidenschaftslose Ehe löst sich auf, wie auch alles andere in Yong-Hyes Welt. Die nur vorgeblich funktionale Beziehung zu ihren Eltern und Geschwistern zerfällt, ebenso das trügerische Eheglück ihrer ernsthaften, bis zum Ende pflichtbewusst-fürsorglichen und selbstlosen Schwester In-Hye. Und letztlich Yong-Hye auch selbst.
Inhalt & Aufbau:
„Die Vegetarierin“ erzählt die Geschichte einer Frau, die ihr Leben immer danach ausgerichtet hat, das zu tun was man von ihr erwartet und darüber hinaus möglichst wenig aufzufallen – und die sich am Ende mit aller Macht dafür entscheidet, einen anderen, eigenen Weg zu gehen. Yong-Hye selbst, die Protagonistin und Auslöserin vieler fundamentaler Lebensumbrüche kommt in Hang Kangs Roman allerdings nicht als Erzählerin zu Wort. In drei Abschnitte unterteilt erzählt „Die Vegetarierin“ in wechselnden Perspektiven zunächst aus dem Blickwinkel von Yong-Hyes Ehemann, anschließend aus dem ihres Schwagers Chong, und im abschließenden dritten Teil aus dem ihrer Schwester In-Hye. Yong-Hyes Gedankenwelt bleibt damit weitgehend unergründet, etwas worüber die Leserin ebenso spekulieren kann wie ihr nahestehendes Umfeld.
Stil & Sprache:
Han Kang erzählt die Geschichte geradlinig und ohne große Umwege, mit der Knappheit eines Tatsachenberichts. Ihre schlichte Sprache und die klare Struktur des Romans lassen die Geschichte aber nahe gehen. Der Roman ist trotz aller offen bleibenden Fragen doch spannend und auch berührend, wenn auch verstörend.
Bewertung:
In unserem Lesekreis wurde das Buch freundlich besprochen und letztendlich mit der Gesamtnote 2,9 bewertet. Auch wenn Thema und Ausgang des Romans befremden, so wurden Stil, Aufbau und Konstruktion des Romans positiv aufgenommen. Die zentrale Frage des Buches, wo Selbstbestimmung ihre Berechtigung hat und wo sie aufhört – oder ob sie überhaupt eine Grenze haben sollte, haben auch wir in unserem Kreis lange diskutiert. ()