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Judith Herrmann - Wir hätten uns alles gesagt

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Buchkritik

Ayelet Gundar-Goshen: "Lügnerin“

Kaleidoskop der Lügen-Arten in postfaktischen Zeiten
Kein & Aber, 2017, 336 Seiten


Lügnerin ist der dritte Roman der 1982 geborenen israelischen Autorin und spielt in Tel Aviv.


Die Geschichte handelt von der 17-jährigen Nuphar, einem unauffälligen junges Mädchen, das von dem Wunsch beseelt ist, gesehen zu werden. Sie steht im Schatten der jüngeren, attraktiveren Schwester.

Nuphar arbeitet in ihren Schulferien in einer Eisdiele, die eines Tages von einem missgestimmten, ehemaligen Schlagersternchen, Avischai Milner, betreten wird. Der erzürnt sich über eine sprachliche Korrektur von Seiten der jungen Verkäuferin. Er wird verbal derart ausfallend, dass das Mädchen in den Innenhof flieht. Der Promi folgt ihr fluchend, wird dann aber von dem Schrei des Mädchens in die Flucht geschlagen. Als sich eine Soldatin nähert und Nuphar fragt, ob Milner sie sexuell belästigt habe, bejaht sie dieses. Daraufhin steigen alle Medien auf diese Nachricht ein. Nuphar wandelt sich vom ‚hässlichen Entlein‘ zur Medienprinzessin, die es aufgrund dieser Lüge endlich schafft, gesehen zu werden. Auch im weiteren Verlauf der Handlung, trotz gewisser Skrupel angesichts des Unrechts, das dem ehemaligen Medienstar angetan wird, wird die Lüge aufrecht gehalten.


Doch dies ist nicht die einzige Lüge, die den Roman dominiert. Auch eine Vielzahl anderer Personen um die Protagonistin herum haben ihre eigenen Lügengeschichten. Im zweiten Teil des Romans wird eine weitere Person eingeführt: Raymonde, die, um ihrer Einsamkeit zu entfliehen, gar zur Lüge greift, in einem Konzentrationslager eingesessen zu haben. Nuphar begegnet der alten Dame auf einer Klassenreise nach Polen.


Themen des Romans:

Die Autorin widmet sich dem Thema der Lüge in einer Vielzahl von Ausprägungen. Anzumerken ist aber, dass sie dies nicht moralisierend mit erhobenem Zeigefinger tut. Letztendlich verleiht sie dem vordergründig Verurteilungswürdigen einen menschlichen Anstrich. Sie trifft in unserem postfaktischen Zeitalter einen wichtigen Kern, dass es nämlich keine Gewissheiten mehr gibt. Im Schlusskapitel des Romans weitet sich denn auch der Horizont der Handlung. Die Lüge greift über in die Welt der Nachrichten und Geheimdienste.


Stil und Sprache:

An Stil und Sprache entbrannte in unserer Gruppe die Diskussion über die Rolle von Übersetzungen. Viele Vergleiche und Metaphern wurden als derart hanebüchen beurteilt, dass wir dieses auf Übersetzungsschwierigkeiten zurückführten. An vielen Stellen des Romans erschien uns die Sprache sehr ungelenk und zum Teil unpassend.


Bewertung:

Lediglich 2,45 von 5 Punkten erreichte der Roman in der Gesamtwertung. Neben der oben genannten Kritik zur Sprache wurde kritisch angemerkt, dass keine der Figuren wirklich ausgearbeitet scheint und insbesondere die Einbeziehung der Figur der Raymonde mit ihrer erfundenen Zeitzeugenschaft den Roman überfrachtet. (MM)

 

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