Aufrührend, sperrig, authentisch - Deutscher Buchpreis 2012
Jung und Jung, 2012, 492 Seiten
Geschichte
1947 kommt Richard Kornitzer aus Kuba, wohin er – aus einer jüdischen Familie stammend – vor den Nazis geflüchtet war, zurück nach Deutschland an den Bodensee. Dorthin hat es seine Frau Claire im Krieg verschlagen. Beide stehen vor dem Nichts. Richard, vor 1933 Gerichtsassessor, war durch die Nationalsozialisten jegliche Tätigkeit in der Justiz verboten worden, Claire wurde ihre Reklamefirma von den Nazis genommen, weil sie sich nicht scheiden lassen wollte; die Kinder der beiden waren 1937 mit einer Hilfsorganisation nach England geschickt worden und wollten nach der langen Zeit nicht zu den Eltern nach Deutschland zurück.
Kornitzer wird eine Stelle als Richter am Landgericht Mainz angeboten, dort stürzt er sich zum einen in seine Arbeit, zum anderen in die Auseinandersetzung mit den bundesrepublikanischen Behörden um sogenannte „Wiedergutmachung“. Dabei verzweifelt er zum einen an einer auf Abwehr gepolten Bürokratie, zum anderen an seiner eigenen Unerbittlichkeit.
Stil & Sprache
Leichtgängig ist dieses Buch nicht, Ursula Krechel schreibt ist kühl und voll von Klammertexten, Rückblenden, Wechsel der Erzählzeiten und unzähligen Wortlauten der Briefe, die Kornitzer mit den Behörden wechselt.
Auch wenn uns dies teilweise etwas sperrig erschien, haben wir Stil und Sprache durchgängig als dem Thema angemessen empfunden.
Themen des Buches
Ursula Krechel erzählt hier sehr frei und mit deutlichen Abweichungen die Lebensgeschichte eines Mannes, auf den sie bei der Recherche zu ihrem Roman „Shanghai fern von wo“ aufmerksam wurde.
„Landgericht“ behandelt, wie bereits im Titel angedeutet, zum einem den Umgang der Justiz mit ihren während der NS-Zeit ausgeschlossenen und verfolgten und zurückgekehrten Mitgliedern, wobei die Justiz sicher exemplarisch für einen großen Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft stehen kann.
Daneben geht es um das „Gericht“, das der zurückgekehrte Kornitzer über sein Land hält und an dem er aufgrund seiner Hartnäckigkeit verzweifelt. Ob er dabei die Verhältnismäßigkeit verliert oder ob seine Verbitterung verständlich ist, wurde von uns sehr kontrovers diskutiert.
Bewertung
Das Thema des Buches wurde von allen Mitgliedern als sehr interessant bewertet, lediglich die Schilderung von Kornitzers Leben auf Kuba hatte in unseren Augen einige Längen. Bemängelt wurde, dass sich das Buch zum Ende nur noch auf Kornitzers Bemühen um „Wiedergutmachung“ konzentriert und so die Geschichte von Claire und den beiden Kindern nicht auserzählt wird. So oder so lohnt das Durchhalten: Ursula Krechel gelingt ein perfektes, dramatisches und erschütterndes Finale des Buches.
„Landgericht“ wurde von uns mit einer Ausnahme sehr gut bewertet, ein Mitglied vergab 5 von 5 möglichen Punkten; unsere Durchschnittsnote ist eine 4,3.
(ka)