Sprachverliebt, ausufernd, detailverliebt
Kiepenheuer & Witsch, 2014, 592 Seiten
Handlung:
Archie Stallings und Nat Jaffe betreiben einen kleinen Jazz-Plattenladen in Oakland, der ehemaligen Industriestadt in der Bucht von San Francisco. Es ist das Jahr 2004, der Laden läuft mehr schlecht als recht und eigentlich ist "Broken Records" eher ein Treffpunkt für Stammkunden und Nachbarn aus der Telegraph Avenue.
In unmittelbarer Nähe zum Plattenladen will der schwerreiche Gibson Goode demnächst einen großen MultimediaStore eröffnen . Mit seiner gut sortierter Second-Hand-Abteilung wird der neu Megastore mit ziemlicher Sicherheit das Aus für den Plattenladen bedeuten.
Die beiden Ehefrauen der Plattenladenbesitzer, Gwen und Aviva, sind selbständige Hebammen und ebenfalls in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Eine Hausgeburt endet unter Komplikationen im Krankenhaus und der Kindsvater droht mit Klage.
Mitten in dieses Chaos tritt Titus auf, der (sozial etwas sperrige) uneheliche Sohn von Archie. Mit 14 Jahren steht er nun zum ersten Mal vor der Tür seines Vaters. Und dann ist da noch Luther Stallings, der Vater von Archie, ein ehemaliger Kung-Fu-Action-Darsteller, Kampfsportler und Ex-Junkie. Auch er spielt eine Rolle, aber nicht jene, die er sich erträumt, nämlich das späte Comeback in einer Fortsetzung seiner jahrzehntealten Erfolgsfilme.
Dramaturgie und Stil
Diese ganzen Handlungsstränge, zusammen mit noch vielen weiteren kleinen und großen Rahmenhandlungen sowie weiteren Protagonisten und Randfiguren werden in Telegraph Road, dem neusten 500 Seiten-Roman von Michael Chabon bereits im ersten Kapitel eingeführt.
Und ab dem zweiten Kapitel ist der Weg das Ziel. Nicht die Auflösung der vielen Dilemmata der Protagonisten steht im Vordergrund der Romanhandlung. Viel wichtiger sind dem Autor liebevolle Abhandlungen über Jazz, detailreiche Beschreibung einzelner Handlungsszenen oder wortreiche Ausführungen zu Kleidungsstücken. Keine Frage, der Roman ist sprachverliebt. Und wer auf derselben Wellenlänge liest wie der Autor mit seinem Sprachgefühl schreibt, wird den Roman sehr gerne lesen. Für einen Großteil der Feuilletonisten und Literaturkritiker trifft das zu. Der Roman wird ausgesprochen positiv rezensiert, Kritiker im In- und Ausland loben Telegraph Avenue aufs höchste.
Bewertung
Für unseren Literaturkreis traf das nicht zu. Nur ein Bruchteil unserer LeserInnen hat das Buch gerne - und dann auch bis zum Ende - gelesen. Der Rest hat vorher kapituliert. Zu ausufernd, zu detailverliebt, zu viel des Guten, das waren die vorherrschenden Eindrücke. Unsere gewohnte Punktewertung haben wir daher bei diesem Buch ausgesetzt. Auch wenn "Telegraph Avenue" bei uns seine Liebhaber gefunden hat - aber dass gut zwei Drittel unseres Kreises das Buch nicht zu Ende lesen konnten, war uns ungewöhnlich genug. ()