Literatur am Abend: Montag, 5. August, 19.30 Uhr
Barbara Kingsolver - Demon Copperhead

Abb. © Verlag
Buchkritik

Stephan Thome: "Pflaumenregen“

Identitätssuche auf Taiwan
Suhrkamp, 2021, 529 Seiten


Handlung:
Erzählt wird die Geschichte von Umeko, die uns zunächst als ebenso kluges wie lebensfrohes Mädchen in einem kleinen Dorf im Norden Taiwans begegnet. Es sind die 40er-Jahre, Taiwan ist zu dieser Zeit seit Jahrzehnten japanisch besetzt und kolonialisiert.


Als der pazifische Krieg schließlich auch die Küsten Taiwans erreicht, bricht die vertraute Welt um Umeko herum zusammen. Die bisherigen Herren der Insel ziehen schmählich ab, und es beginnt eine neue Zeit: Was eben noch opportun war, wird jetzt gründlich auf den Kopf gestellt. Denn mit der Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg wird Taiwan zur Zuflucht für zahlreiche Festland-Chinesen.


Chiang Kai-Shek und seine Kuomintang errichten ihre Diktatur. Umeko verliert in dieser Zeit ihre Heimat, ihren geliebten Bruder und sogar ihren Namen. Als Lee Ching-mei treffen wir Umeko, inzwischen eine alte Frau, schließlich im Taipeh der 2010er-Jahre wieder.


Zu ihrem Geburtstag trifft sich die Familie in der Stadt, sogar der Sohn aus den USA ist angereist. Zum ersten Mal seit ihrer Kindheit will er Ching-mei/Umeko wieder in das Dorf ihrer Kindheit bringen. Denn dort hat sich Unaussprechliches zugetragen, und der Sohn will das Schweigen der Familie darüber endlich brechen.


So klingt der Roman:
Erzählt wird „Pflaumenregen“ auf zwei zeitlichen Ebenen, die kapitelweise ineinander verschränkt sind. Auch wenn es manchmal ein paar Zeilen braucht sich zurechtzufinden – ein echtes Hemmnis für den Lesefluss ist diese Technik nicht. In der Geschichte von Umeko und den Lebenswegen ihrer Familie spiegelt sich die Geschichte eines Landes, das seit Langem zwischen den Mächten steht und mit seiner eigenen Identität ringt.


Bewertung:
„Pflaumenregen“ haben die meisten in unserer Runde als bereichernde literarische Geschichtsstunde erlebt. Die verpackt Stephan Thome – studierter Sinologe und seit Jahren (auch) in Taiwan beheimatet – in eine elegant konstruierte Handlung mit vielen interessanten Charakteren. Da und dort reißt der Spannungsbogen jedoch, und manche Schilderung versteht man ohne Vorkenntnisse der ostasiatischen Geschichte nur mit Mühe.


Mit 3,4 von 5 Punkten hat „Pflaumenregen“ in unserer Abstimmung vergleichsweise gut abgeschnitten. Auch die professionelle Kritik hatte den Roman überwiegend positiv bewertet. Nicht ausgeschlossen, dass Stephan Thome wieder einmal auf der Shortlist für den deutschen Buchpreis landet. Allerdings sah sich der Autor auch dem Vorwurf nicht statthafter kultureller Aneignung ausgesetzt. Der Roman, so wurde berichtet, würde deshalb von internationalen Verlagen nicht übersetzt.

(AT)

 

Weitere Kritiken:

Fien Veldman: Xerox
Judith Hermann: Wir hätten uns alles gesagt
Annette Mingels: Der letzte Liebende
Tijan Sila: Radio Sarajevo
Mohamed Mbougar Sarr: Die geheimste Erinnerung der Menschen
Juli Zeh Simon Urban: Zwischen Welten
Johan Theorin: Nebelsturm
Milena Michiko Flasar: Herr Kato spielt Familie
András Forgách: Akte geschlossen
Haruki Murakami: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
Jens Steiner: Carambole
Lily Brett: Lola Bensky
Ned Beauman: Der gemeine Lumpfisch
Jakob Guanzon: Überfluss
Jennifer Egan: Candy Haus
Fatman Aydemir: Dschinns
Claudia Schumacher: Liebe ist gewaltig
Isabel Allende: Violeta
Hernan Diaz: Treue
Edouard Louis: Anleitung ein anderer zu werden
Eckhard Nickel: Spitzweg
Daniel Schreiber: Allein
Marie NDiaye: Die Rache ist mein
Jonathan Franzen: Crossroads
Alex Schulman: Die Überlebenden
Mithu Sanyal: Identitti
Christian Kracht: Eurotrash
Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne
Ayad Akhtar: Homeland Elegien
Annette Mingels: Dieses entsetzliche Glück
Deniz Ohde: Streulicht
Adam Haslett: Stellt euch vor, ich bin fort
Mario Vargas Llosa: Harte Jahre
Birgit Birnbacher: Ich an meiner Seite
Adeline Dieudonné: Das wirkliche Leben
Ulrich Tukur: Ursprung der Welt
Dror Mishani: Drei
Eugen Ruge: Metropol
Ocean Vuong: Auf Erden sind wir kurz grandios
John Ironmonger: Der Wal und das Ende der Welt
Annette Hess: Deutsches Haus
Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall
Monica Sabolo: Summer
Nell Zink: Virginia
Annie Ernaux: Erinnerung eines Mädchens
Maria Cecilia Barbetta: Nachtleuchten
Stephan Thome: Gott der Barbaren
Fernando Aramburu: Patria
João Tordo: Die zufällige Biographie einer Liebe
Ayelet Gundar-Goshen: Lügnerin
Robert Menasse: Die Hauptstadt
Yaa Gyasi: Heimkehren
Edna O’Brien: Die kleinen roten Stühle
Lauren Groff: Licht und Zorn
Franzobel: Das Floß der Medusa
Julian Barnes: Der Lärm der Zeit
Dorit Rabinyan: Wir sehen uns am Meer
Nathan Hill: Geister
Ian McEwan: Nussschale
Elif Shafak: Der Geruch des Paradieses
Han Kang: Die Vegetarierin
Steven Galloway: Der Illusionist
Jane Gardam: Ein untadeliger Mann
Elena Ferrante: Meine geniale Freundin
Joost Zwagerman: Duell
Dietmar Dath: Leider bin ich tot
Sascha Reh: Gegen die Zeit
Andreas Kollender: Kolbe
Yiyun Li: Schöner als die Einsamkeit
Monique Schwitter: Eins im andern
Maylis de Kerangal: Die Lebenden reparieren
Harper Lee: Gehe hin, stelle einen Wächter
Nadifa Mohamed: Black Mamba Boy
Amos Oz: Judas
Ludwig Winder: Der Thronfolger
Patrick Modiano: Gräser der Nacht
Carl Nixon: Settlers Creek
David Peace: GB84
Hilary Mantel: Die Ermordung Margaret Thatchers
Jhumpa Lahiri: Das Tiefland
Yasmina Reza: Glücklich die Glücklichen
Margriet de Moor: Melodie d'amour
Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah
Michael Chabon: Telegraph Avenue
Daniel Galera: Flut
Elizabeth Strout: Das Leben natürlich
Terézia Mora: Das Ungeheuer
Uwe Timm: Vogelweide
Leon de Winter: Ein gutes Herz
Ned Beauman: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beförderung eines Menschen von Ort zu Ort
Juli Zeh: Nullzeit
Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Richard Ford: Kanada
Jenny Erpenbeck: Aller Tage Abend
Stephan Thome: Grenzgang
Ursula Krechel: Landgericht
Stephan Thome: Fliehkräfte
Clemens J. Setz: Indigo
Vea Kaiser: Blasmusik Pop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam
Germán Kratochwil: Scherbengericht
Véronique Olmi: In diesem Sommer
Toine Heijmans: Irrfahrt
Thomas von Steinaecker: Das Jahr, in dem ich aufhörte mir Sorgen zu machen und anfing zu träumen
Annette Pehnt: Chronik der Nähe
Anna Katharina Hahn: Am Schwarzen Berg
Olga Grjasnowa: „Der Russe ist einer, der Birken liebt
Eugen Ruge: „In Zeiten des abnehmenden Lichts“
Judith Schalansky: Der Hals der Giraffe
Edmund de Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen
Aravind Adiga: Letzter Mann im Turm
Mario Vargas Llosa: Der Traum des Kelten
Javier Cercas: Anatomie eines Augenblicks
Thomas Wolfe: Die Party bei den Jacks
Zsuzsa Bánk: Die hellen Tage
Michel Houellebecq: Karte und Gebiet
Jonathan Lethem: Chronic City
Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer
Doron Rabinovici: Andernorts
Ian McEwan: Solar
Marie N´Diaye: Drei starke Frauen
Hans-Ulrich Treichel: Grunewaldsee
Richard Price: Cash
Colum McCann: Die große Welt
Kathrin Schmidt: Du stirbst nicht
Leon de Winter: Das Recht auf Rückkehr

Alle Buchkritiken