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Juli Zeh Simon Urban: "Zwischen Welten“
Luchterhand, 2023, 448 Seiten Darum geht es: So klingt der Roman: So manches Mal leidet die Glaubhaftigkeit, nicht die der erzählten Geschehnisse, sondern die der Stunden andauernden und zu jeder Tages- und Nachtzeit stattfindenden elektronischen Kommunikation. Das Gesamtexperiment eines Briefromans, der tatsächlich von zwei Autoren verfasst ist, gelingt jedoch aufgrund der Relevanz und Aktualität der verhandelten Themen. Besonders lebhaft diskutierten wir die Frage, für welches Publikum Juli Zeh und Simon Urban schreiben, ob der Roman Ost- und Westdeutsche gleichermaßen anspricht, und wer sich in den polarisierten Ansichten ganz oder zu Teilen wiederfindet. Wir fanden eine zunehmende gesellschaftliche Diskursunfähigkeit in den (Pseudo-)dialogen der Hauptfiguren sehr treffend zugespitzt. Bewertung:
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Johan Theorin: "Nebelsturm“
No thrill at all von einem talentbefreiten Autor. Die Story: schlicht. Die Erzählung: mit parallelen Erzählsträngen und Mystik überladen und auf x Seiten ausgedehnt. Der Stil: talentbefreit. Bewertung: Nie wieder Theorin. | ||
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Milena Michiko Flasar: "Herr Kato spielt Familie“
Pappa ante portas in Japan Wagenbach, 176 Seiten Die Geschichte: Stil und Sprache: Plot & Dramaturgie: Bewertung: | ||
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András Forgách: "Akte geschlossen“
Sperriger und doch berührender Roman über die Stasi-Vergangenheit der Mutter S. Fischer Verlag, 2019, 352 Seiten András Forgách ist Schriftsteller, Schauspieler, Übersetzer und Theaterautor. Nachdem er bereits 2007 seine Familiengeschichte veröffentlicht hat, verarbeitet er in dem 2015 erschienenen Roman „Akte geschlossen“ einen bisher unbekannten Teil des Lebens seiner verstorbenen Eltern. Der Roman wurde in Ungarn als Sensation gefeiert, er wurde in 14 Sprachen übersetzt und bereits die Filmrechte verkauft. Handlung: Durch den Hinweis eines Bekannten entdeckt Forgách, dass zuerst sein Vater und nach dessen psychischer Erkrankung auch seine Mutter als Spitzel für die ungarische Staatssicherheit gearbeitet haben. Während ihn die Tätigkeit des Vaters nicht überrascht, ist die Entdeckung, dass seine Mutter, die er als schöne und unkonventionelle Frau geliebt hat, sogar ihre Kinder ausspioniert hat, für ihn ein „Ereignis kosmischen Ausmaßes“. Er versucht, Verständnis für die Mutter zu entwickeln, die als Tochter von Holocaustüberlebenden und überzeugte Kommunistin nirgends richtig dazuzugehören schien. Gleichzeitig fast skurril wirkt die unglaubliche Piefigkeit und Banalität der Stasi-Berichte, die die Verbindungsoffiziere der Mutter verfassen und aus denen sich erkennen lässt, dass die Mutter keine wirklichen Nachrichten in Erfahrung bringen konnte. Stil und Sprache: Der Roman ist in drei Teile gegliedert, Auszüge aus den Geheimdienstakten, eine lyrisch-poetische Aufarbeitung und eine Beurteilung durch den Autor. Bewertung: Gerade diese Dreiteilung hat es für uns schwer gemacht, den Roman durchgängig zu lesen. Insbesondere der zweite Teil wurde von den meisten nur überblättert. Trotzdem hat die Thematik uns sehr berührt, die Collagetechnik des ersten Teils wurde sehr positiv aufgenommen. Zu kurz gekommen ist nach einhelliger Meinung jedoch die Darstellung, was die Entdeckung der Geheimdiensttätigkeit im Autor auslöst. Wir vergeben 3,35 von 5 Punkten. | ||
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Haruki Murakami: "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“
Ruhig, nachrichtlich, einfach zu lesen Inhalt: Stil und Sprache: Das ist als Plot durchaus spannend, auch für Europäer. Dennoch springt der Funke nicht bei allen von uns über. Das hat viel mit der sehr einfachen, nachrichtlichen und emotionslosen Sprache von Murakami zu tun. Sie macht die Lektüre zwar auf der einen Seite sehr einfach. Bewertung: Anders als in seinen bisherigen Büchern stört der schlichte Stil aber auch immer wieder das Lesevergnügen, wirkt oft Roboterhaft. Das fällt vor allem in den Dialogen auf. „Singapur ist ein angenehmes Reiseland. Die Landesküche ist sehr gut, und es gibt wunderschöne Ferien-Resorts“ Auch über Sex zu schreiben zählt nicht zu Murakamis Stärken: ..“ Doch als er kurze Zeit später in sie eindringen wollte, fehlte ihm die Festigkeit“… Selbst Murakamis Exkurs in den magischen Realismus fasziniert in diesem Buch nicht. Die Literaturkritik teilst sich bei diesem Buch in zwei Fraktionen: Die einen sehen in dem 64jährigen Autoren Haruki Murakmi mehr denn je einen Kandidaten für den Literaturnobelpreis und schätzen auch an diesem Werk seine Kunst, lakonisch und ruhig zu erzählen. Der andere Teil ist erneut fassungslos ob des Phänomens Murakami, dessen „banale“ Romane samt „unbeholfener Sprache“ in den Augen des Rezensenten in die Sparte „seichter Unterhaltung“ gehören. Fest steht für uns: Seine früheren Romane waren sprachlich und inhaltlich besser und faszinierender. Das aktuelle Buch erreicht in Summe 3,3 von 5 möglichen Punkten. | ||
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Jens Steiner: "Carambole“
Dorftristesse in 12 Runden Inhalt: Plot & Damaturgie: Sprache & Stil: Bewertung: Dennoch würden Carambole nur wenige von uns weiterempfehlen. Das liegt vor allem an der Tristesse, die dieses Buch und jede einzelne Geschichte durchzieht. Enttäuschte Erwartungen, Langeweile, Gefangensein in einem sozialen Gefüge – Jens Steiner beschreibt dieses Ausgeliefertsein aus allen Perspektiven. Für die einen perfekt, für die anderen zu langsam erzählt und schwer zu ertragen. Das spiegelt sich in unserer Bewertung wieder: Carambole bekommt wenig gute und viele schlechte Bewertungen und landet am Schluss bei 2,6 von 5 möglichen Punkten. | ||
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Lily Brett: "Lola Bensky“
Turbulent, komisch, schön erzählt Die Autorin: Lily Brett wurde 1946 in Deutschland geboren. Ihre Eltern heirateten im Ghetto von Lodz, wurden im KZ Auschwitz getrennt und fanden einander erst nach zwölf Monaten wieder. 1948 wanderte die Familie nach Brunswick in Australien aus. Lily Brett schreibt für ein Musikmagazin und lernt die wichtigsten Musiker und Rockstars der 60iger Jahre kennen. "Wenn Du Auschwitz überlebt hast, hast Du keine Ehrfurcht mehr vor diesen Größen", sagt Lily Brett: "Aber du verstehst, warum das Lachen im Leben wichtig ist." Der Roman: Der Leser begleitet Lola Bensky im Jahr 1967 in London, dann auch in Amerika bei Interviews mit den Newcomern der Musikszene, die heute weltberühmt sind, und merkt schnell, dass Lola eine gestörte Beziehung zu ihrem Körper hat und unsinnige Diäten entwirft. Lola ist dick, aber sie fühlt sich fett. Und sie fühlt sich schuldig und verantwortlich für das Unglück, das ihren Eltern widerfahren ist. Lola Bensky wurde in einem Lager für Displaced Persons geboren. Ihre Eltern waren Überlebende eines Konzentrationslagers, wanderten aus und entscheiden sich, mit ihrer Tochter Englisch zu sprechen. Dies sollte zwar der Integration in die neue Heimat dienen. Doch der Leser ahnt auch, dass die mangelnde Ausdrucksfähigkeit in der Fremdsprache auch ein Bild für die begrenzte Möglichkeit ist, die grauenhaften Lagererfahrungen zu bewältigen. Mit Lola begibt sich der Leser auf eine Reise in die turbulente Musikszene und in den Sog des Buches. Lola begegnet u.a. Jimi Hendrix, Cat Stevens, Twiggy, Brian Jones, Mama Cass, Janis Joplin. Nach diesen verschlungenen Wegen begegnet Lola, inzwischen 63 Jahre alt und jetzt glücklich verheiratet, in New York erneut Mick Jagger, tauscht einen Blickkontakt und ein Lächeln mit ihm. Stil und Sprache: In ihrer Überraschung, dass Mick Jagger schon mal etwas von Ausschwitz gehört hat, schildert Lola ihre Erfahrungen als Kind von Ausschwitzüberlebenden. Diese sehr persönlich geratenden Interviews mit den Musikikonen, gemischt mit dem frischen, unkomplizierten Erzählstil scheinen der Bann zu sein, der dem Leser das eigentlich schwere Thema des Buches bekömmlich macht. Eingestreut in die Szenen des Jahres 1967 sind solche aus späteren Zeiten: Lolas vorübergehende Rückkehr nach Ausstralien, ihre Ehe, deren Trennung, Jahre mit Angststörung und Therapie, in deren Folge statt der Diäten sich ihre Romanfiguren Harry, Schlomo und Petrushka Inge Maria Pagenstecker aus dem „ultraprivaten Detektivbüro“ in ihren Gedanken tummeln. Der Leser weiß beim Zurseitelegen des Buches, dass ein Leben auch mit schwieriger Biographie in Zufriedenheit und Freude gelingen kann. | ||
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Ned Beauman: "Der gemeine Lumpfisch“
Kreativer, mitreißender und tragischer Ökothriller zum Artensterben Der Autor: Die Handlung: Als ungleiches Paar verfolgen wir die Protagonisten Mark Halyard und Karin Resaint, die auf der Suche nach dem für ausgestorben gehaltenen gemeinen Lumpfisch sind. Mark arbeitet für eine Firma, die Tiefseebergbau betreibt, als sogenannter Umweltverträglichkeitskoordinator. Die Firma muss, weil sie das Aussterben einer Art mitverantwortet, bei einer Weltorganisation teure Auslöschungszertifikate erwerben. Mark hintergeht seinen Arbeitgeber und verspekuliert sich mit den Zertifkaten. Um den Gefängnis zu entgehen, muss er ein echtes Exemplar des Lumpfisches in freier Wildbahn ausfindig machen. Dazu benötigt er die Lumpfisch-Expertin Karin Resaint, die zunehmend unter dem Artensterben leidet. Beide zusammen machen sich auf eine Abenteuerreise durch das inzwischen deutlich wärmere Finnland, Estland und über die Ostsee. So klingt der Roman: Der Autor zeichnet sich aus durch viel Recherche. Autonom fahrende Taxis und Boote, fehl geschlagenes Geo-Engineering gegen die Klima-Erwärmung, ein deutlich wärmeres Finnland und Estland, Brexit und AfD, Finanzinvestoren, Finanzspekulation und Lobbyisten, Zertifikate-Handel als "marktwirtschaftliches Instrument" zur Lösung der Klima-Krise, Meeres-Wohnplattformen für die Reichen ohne Steuern und Regeln, Genom-Bastler und Startups, ein immer gleich schmeckendes Essen und natürlich künstliche Intelligenz - das alles kommt vor. Zugleich versucht er, so sagt er in einem Interview, seine Geschichten mit dem Tempo eines amerikanischen Films zu erzählen. Das schafft er mit knackigen Dialogen, gut beschriebenen Szenen, etlichen Cliffhangern und Humor. Unsere Bewertung: Das Tempo und die Spannung fanden wir in jedem Fall positiv. Das sehr detaillierte Erzählen des Schriftstellers ist interessant, wurde von einigen aber auch als zu ausführlich empfunden. Fest steht: „Der gemeine Lumpfisch“ erfordert Aufmerksamkeit und lässt sich nicht mal eben nebenbei lesen. Dafür belohnt er den Leser mit einem sehr humorvollen Stil und schrägen Nebencharakteren. Zu vielen der Themen hatten wir in unserer Runde einen regen Austausch, vieles stimmte auch nachdenklich. Mit 3,8 Punkten von 5 möglichen Punkten erzielte der sehr aktuelle Roman eine weit überdurchschnittliche Gesamtwertung. | ||
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Jakob Guanzon: "Überfluss“
Elster Verlag 2023, 380 Seiten Ein starker Roman, der Fehler im System aufzeigt, wenn es darum geht, dem Armutsstrudel zu entrinnen, und zeigt, wie wichtig letztendlich die Kaufkraft ist. Handlung: Die letzten Jahre hatte Henry im Gefängnis verbracht und steht nun vor einer ungewissen Zukunft, geprägt von der Suche nach einem Arbeitsplatz. Ein kleiner Hoffnungsschimmer bietet sich in Form eines Jobinterviews, das am Tag nach Juniors Geburtstag ansteht. Während wir Henry in den nächsten 24 Stunden begleiten, werden immer wieder Rückblicke eingestreut, die die Ursprünge seiner gegenwärtigen Lebenssituation beleuchten. In einer Welt voller kleiner Fehlentscheidungen, die es dem Protagonisten unmöglich machen, aus dem Strudel der Armut auszubrechen, werden Fehler im System schonungslos offengelegt. Über den Autor: So klingt der Roman: Besonders an „Überfluss“ ist unter anderem, dass am Anfang jedes Abschnittes der Geldbetrag als Kapitelüberschrift genannt wird, der Henry zur Verfügung steht. Dies unterstreicht eindrucksvoll die Bedeutung des Geldes im Abschnitt dieser Erzählung. Eine der Höhepunkte des Romans ist zweifellos die Szene im Supermarkt, in der der Titel "Überfluss" seine tiefere Bedeutung enthüllt. Bewertung: Als Verbesserung fiel uns auf, dass man mehr aus den Überschriften hätte machen können. Mit einer tieferen Einbindung in Handlung hätte man unserer Meinung noch eine tiefere Verknüpfung herstellen könnten. Insgesamt können wir "Überfluss" mit diesen sehr positiven Bewertungen definitiv weiterempfehlen. | ||
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Jennifer Egan: "Candy Haus“
S. Fischer Verlage, 2022, 416 Seiten Darum geht es: Zwar steigt durch „Own your Unconcious“ die Aufklärungsquote diverser Straftaten einschließlich der Kinderpornographie. Es gibt aber keinerlei Privatsphäre mehr. Um dieser totalen Öffentlichkeit zu entfliehen, setzen die Rebellen „Proxies“ ein. Sie selbst „verschwinden“ im Untergrund und lassen diese Strohpersonen für sich in den sozialen Medien oder in digitalen Konferenzen auftreten. Für diese Gemeinschaft der „Entflohenen“ etabliert sich ein „sicheres“ soziales Netzwerk namens „Mondrian“, das die Privatsphäre angeblich schützt. Die Technologie hinter „Own your Unconcious“ wird auch zu Spionagezwecken genutzt, wie in dem Kapitel „Lulu the Spy“ - das an Egans Novelle „Black Box“ erinnert - ausführlich geschildert. Eine Anthropologin verschwindet in die Welt der Entflohenen. Sie hatte mit ihrem Algorithmus menschlicher Interaktion einem Tech-Unternehmer erst zu der Erfindung „Own your Unconcious“ ungewollt verholfen. Der Tech-Unternehmer versöhnt sich kurz vor seinem Tod mit den Betreibern des Entflohenen-Netzwerkes „Mondrian“. Er vererbt diesen einen großen Teil seines Vermögens; womöglich das Eingeständnis einer negativen Bilanz seines Lebenswerkes? So klingt der Roman: Jennifer Egan sagt über „Candy House“, es gebe nur drei Regeln: Jedes Kapitel müsse
Bewertung: Viele bedauerten die verpassten Gelegenheiten zur Auserzählung der eher impressionistisch anmutenden Einzelplots. Die komplexe Konstruktion der vielen Verbindungen zwischen Figuren und Handlungselementen - zudem mit nicht-chronologischen Zeitsprüngen durchsetzt - war einigen „zu wirr“. Ein wahrer Lesegenuss ohne Frustration und besseres Einordnen der Figuren stellt sich eher mit Kenntnis des Vorgängerromans „Der größere Teil der Welt“ ein. Dafür hatten es uns die virtuose Figurenzeichnung, die Ambivalenzen, der sprachliche Stil, die teils experimentelle Erzählform und der fehlende moralische Zeigefinger angetan. Das Thema des Widerstreits von Freiheit und Sicherheit in Zeiten künstlicher Intelligenz scheint am Puls der Zeit und sprach uns sehr an. | ||
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Fatman Aydemir: "Dschinns“
Packender authentischer Familienroman Handlung: Der Roman erzählt die Geschichte von Hüseyin, der nach 30 Jahren Arbeit in einer Metallfabrik in Süddeutschland und mühsamen Sparens für eine Wohnung in Istanbul einen tödlichen Herzinfarkt erleidet, ausgerechnet am Tag, als sich sein Traum erfüllte. In den folgenden Kapiteln begleiten wir die Familie auf ihrem Weg nach Istanbul zur Beerdigung Hüseyin. Dabei lernen wir seine Frau und jedes seiner vier Kinder besser kennen. Jedem Protagonisten ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Mit jedem Kapitel werden ihre Wünsche, Probleme und Geheimnisse enthüllt. Die Autorin behandelt dabei aktuelle gesellschaftskritische Themen wie Rassismus, Migration und Vorbehalte gegenüber Mitgliedern der LGBTQI+ Community. Über die Autorin: So klingt der Roman: Bewertung: Insgesamt erhält "Dschinns" eine äußerst positive Bewertung mit einer Gesamtnote von 4,4 von 5 möglichen Punkten. Stil und Sprache des Romans haben uns besonders gefallen, ebenso wie die mitreißende Dramaturgie. Die Charaktere sind stark, authentisch und vielschichtig gezeichnet, wobei die weiblichen Protagonisten unserer Meinung nach besser ausgearbeitet sind als die männlichen. | ||
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Claudia Schumacher: "Liebe ist gewaltig“
Sprachgewaltiges Debüt über familiäre Verletzungen und eine mögliche Heilung
Darum geht es:
Wir begleiten Juli über drei Kapitel dabei, wie sie versucht, Deutungshoheit über ihr Leben zu erlangen. Wir erleben sie als 17-jährige Schülerin und schauen ihr als 25-jährige Studentin in Berlin sowie als 27-Jährige in Zürich beim Erwachsenwerden zu. Dabei erfahren wir immer wieder über die wechselnden Beziehungsdynamiken zu den anderen Familienmitgliedern. Es ist nicht einfach, den Roman auf ein Thema zu begrenzen. Er verhandelt viele verschiedene Themen: neben psychischer und körperlicher Gewalt geht es um den Umgang mit diesen Erfahrungen und den Folgen davon. Themen wie Identität und Einsamkeit spielen ebenfalls eine zentrale Rolle. Über die Autorin: Bewertung:
Wir waren uns einig über die Relevanz der Themen des Buches (Gewalterfahrungen im bürgerlichen Milieu), die wir so selten irgendwo anders gelesen haben. Besonders beeindruckte uns die authentischen und präzisen Beschreibungen. Diese machten es gleichzeitig jedoch auch für viele von uns hart zu lesen. Nicht alle mochten daher das Buch bis zum Ende lesen. Manche fanden den Roman „zu überlagert an Themen“ mit dem einhergehenden Eindruck, dass das Buch manchmal „ein wenig zu viel will“. Darüber hinaus ging auch die Meinung zu der Stärke der einzelnen Kapitel sowie des Endes auseinander. | ||
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Isabel Allende: "Violeta“
Dünn, bemüht und selbstverliebt Darum geht es: Violeta erzählt uns selbst ihr Leben. Am Ende ihrer Tage schreibt sie ihrem geliebten Enkel einen langen Brief – sie erzählt ihm von ihren halsbrecherischen Affären, den Jahren der Armut, von schrecklichen Verlusten und tiefempfundener Freude, von historischen Vorkommnissen, die ihr Leben geprägt haben: von dem Kampf für die Rechte der Frauen, dem Aufstieg und Fall von Tyrannen und von zwei schrecklichen Pandemien. Viel lieber möchte er als mathematisch-psychologisches Genie in die Geschichte der Wall Street und damit in die amerikanische Geschichte eingehen, flankiert von seiner liebevollen, zartbesaiteten, naiven Ehefrau, die seinem Reichtum - zu ihren Lebzeiten und darüber hinaus - einen altruistischen, philantropen Touch verliehen hat. Über die Autorin: 1982 wurde gleich ihr erster Roman "Das Geisterhaus" ein großer Erfolg. Von ihren weiteren Büchern bewegt besonders der 1992 erschienene Roman "Paula": Ihn schrieb Allende am Krankenbett ihrer sterbenden Tochter. Ihre Bücher haben sich millionenfach verkauft und sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden. Der vielleicht wichtigste von zahlreichen Preisen in Isabel Allendes Karriere ist der ihr 2010 verliehene "Nationale Literaturpreis" Chiles, den vor ihr erst drei Frauen erhalten haben. So klingt der Roman: Wir lesen einerseits die inspirierende Geschichte einer eigensinnigen, leidenschaftlichen, humorvollen Frau. Einer Frau, die Aufruhr und Umwälzungen ihrer Zeit nicht nur bezeugt, sondern am eigenen Leib erfährt und erleidet. Und die sich gegen alle Rückschläge ihre Hingabe bewahrt, ihre innige Liebe zu den Menschen und zur Welt. Das Buch besteht aber aus einer langen Erzählung, enthält wenig wörtliche Rede und mäandert somit ruhig aber doch faszinierend durch das bewegte Leben einer Frau, ihrer Lieben, ihres Liebeslebens und vermengt sich mit historischem Wissen wie so oft in den Büchern von Allende. Bewertung: So fiel auch die Wertung eher durchschnittlich aus. Immerhin erreichte der Roman 3 von 5 möglichen Punkten - für ein Werk, das im Verkauf und in der Bewertung sicherlich sehr von den bisher erschienen Meisterwerken von Isabel Allende und ihrem Namen profitiert. | ||
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Hernan Diaz: "Treue“
Steigert sich zu einem vielschichtigen Werk mit großen Themen Darum geht es: Viel lieber möchte er als mathematisch-psychologisches Genie in die Geschichte der Wall Street und damit in die amerikanische Geschichte eingehen, flankiert von seiner liebevollen, zartbesaiteten, naiven Ehefrau, die seinem Reichtum - zu ihren Lebzeiten und darüber hinaus - einen altruistischen, philantropen Touch verliehen hat. Dazu engagiert er eine Ghostwriterin, die seinem großen Ego hinter seiner spröden Fassade eine authentische Stimme verleihen soll. Dass ihr Vater ein italienischstämmiger Anarchist und antikapitalistischer Aktivist ist, weiß der Auftraggeber längst. Doch die Macht seines Reichtums schirmt ihn von aller Unbill ab. So kann ihm auch der erpresserische Freund seiner Ghostwriterin nichts anhaben. Die zweifelt bei aller Faszination für den Magnaten und dessen Umfeld bald an seinen Angaben. Wer war die Ehefrau wirklich? Das ungelöste Rätsel holt die Ghostwritern Jahrzehnte später wieder ein. In detektivischer Manier schickt sie sich an, es durch die eigene Stimme der Ehefrau zu lösen. So klingt der Roman: Bemerkenswert daran ist die multiperspektivische Erzählstruktur, verwirklicht anhand vierer Dokumente: einer Biographie, einer Autobiographie, eines Memoir und eines Tagebuchfragments. Die unterschiedlichen Tonarten dieser Dokumente und ihrer Erzähler, besonders an ihrem jeweiligen Zeitpunkt in der Literaturgeschichte, finden deutlichen Ausdruck. So liest sich die unautorisierte Biographie wie ein konventioneller Roman des 19. Jahrhunderts. Die Autobiographie ist zwar bombastisch, aber blutleer – und bleibt dennoch im Spannungsbogen des gesamten Romans. Die Ghostwriterin erzählt ihre eigene Geschichte wiederum im eher reißerischen Stil des „New Journalism“. Bewertung: Allerdings fiel es den meisten schwer, in den Roman hineinzufinden, und manche kamen nicht über den ersten Teil hinaus, den sie als zu zäh empfanden. Auch die Schilderung der Börsentransaktionen geriet Fachleuten unter uns nicht ganz gelungen. Der Autor selbst beklagt die „Sprache, in der über Geld geredet wird“, wollte diese im Roman vereinfachen und aus einer männlich dominierten Szene herausholen. Ob dies gelang, bleibt offen. Die Sterbeszenen hingegen fanden Fachleute sehr überzeugend und berührend. Insgesamt erstaunt uns die Fähigkeit des Autoren, sich in beide Geschlechter, verschiedene Epochen und Lebensbereiche einzufühlen. | ||
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Edouard Louis: "Anleitung ein anderer zu werden“
Édouard Louis erzählt mit gewaltsamer Offenheit Darum geht es Schicht für Schicht trägt er die Spuren ab, die wirtschaftliche Not, geistige Enge und gesellschaftliche Randständigkeit hinterlassen haben. Doch so sehr Edouard auch räumliche und intellektuelle Distanz zwischen sich und das verarmte nordfranzösische Dorf seiner Kindheit legt, entdeckt er doch immer neue Zeugnisse des Anders-Seins an und in sich. Ohne Rast und von beinahe manischem Eifer angetrieben nimmt Edouard seinen Weg über die örtliche Bibliothek und das Provinzstädtchen Amiens bis in die höchsten Kreise von Paris. Doch wird er jemals wirklich ankommen? So klingt der Roman Hier klingt an, was Édouard Louis zu einem der aktuell profiliertesten, wenn auch keinesfalls unumstrittenen Intellektuellen Frankreichs hat werden lassen: seine Überzeugung, dass der eigene Ausbruch aus der Welt seiner Kindheit keinesfalls als Beispiel für eine soziale Durchlässigkeit der Gesellschaft insgesamt missverstanden werden dürfe. Im modernen Frankreich erkennt Édouard Louis eine strenge Klassengesellschaft, die kaum einen Aufstieg gestatte. Das ist unsere Meinung Bewertung | ||
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Eckhard Nickel: "Spitzweg“
Dünn, bemüht und selbstverliebt Über das Buch: Der vom Ich-Erzähler bewunderte Mitschüler Carl gibt sich als kunstgeschichtlicher Connaisseur, seine Betrachtungen stehen im Zentrum der in den 80er-Jahren angesiedelten Geschichte. Kirsten ist die Malerin in diesem Trio - und die meiste Zeit verschwunden. Verhandelt wird die Frage, wie viel Künstlichkeit unser Leben und unsere Wahrnehmung prägen. Über den Autor:
Bewertung: Die Figuren „befleißigen“ sich einer manierierten, biedermeierlichen Sprache, die nicht in die Zeit von Sunkist und Raider passt. Das Kreisen um eine Künstlichkeit, neben der ein aufblasbares Plastikeinhorn lebendig wirkt, hatte etwas Ermüdendes, das die Spannungskurve und unser Interesse am Gebotenen unter Null drückte. So fiel auch am Ende die Wertung aus: 1,38 Punkte von 5 möglichen für einen Roman, dessen Erscheinen auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2022 wir uns nicht erklären können. | ||
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Daniel Schreiber: "Allein“
Authentisch formulierter Essay über das Leben mit Freunden Über das Werk: Hierfür beleuchtet er nicht nur seine eigenen Erfahrungen als homosexueller Single-Mann. Er zieht auch immer wieder die Erkenntnisse verschiedener Philosophen und Soziologen mit heran. Anstelle eines konkreten Handlungsstrangs kann der Lesende Schreiber auf seinem Weg durch Rückblenden, aber auch aktuell Erlebtem, wie Reisen oder seinen Erfahrungen während der ersten Lockdowns in der Corona Pandemie, begleiten. Über den Autor: Bewertung: | ||
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Marie NDiaye: "Die Rache ist mein“
Ermüdende Erzählung mit schlichtem Plot und wenig sympathischen Figuren Mit ihrem Roman „Drei starke Frauen“ gewann die aus dem Senegal stammende Französin Marie NDiaye 2009 den wichtigsten französischen Literaturpreis, den Prix Goncourt. Auch unser Literaturkreis fand die drei sprachlich ganz eigenständigen Geschichten über das Leben afrikanischer Frauen im 21. Jahrhundert gut. Umso enttäuschter waren wir von dem aktuellen Buch der Autorin. „Die Rache ist mein“ irrlichtert mit schlichtem Plot, sperriger Sprache und durchweg unsympathischen, stets eigenartig agierenden Figuren durch ein trübes Bordeaux. Inhalt: Bewertung: Das Buch lässt uns daher mit einem schalen Gefühl und vielen Fragen zurück. In unserer Bewertung erreichte der Roman in Summe 2 Punkte von 5 möglichen. Die Lobeshymnen von Zeit, SZ, FAZ, Deutschlandfunk Kultur konnten wir leider nicht nachvollziehen. (ut) | ||
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Jonathan Franzen: "Crossroads“
Melancholische Familiengeschichte um Werte und das Leben Handlung: Zentral ist dabei die kirchliche Jugendgruppe „Crossroads“, wörtlich der „Scheideweg“ oder eben der „Weg des Kreuzes“, die sich von der klassisch bibelbezogenen Gebetsgruppe zur säkularisierten Psychogemeinschaft gewandelt hat. Wandelten sich „echte“ Werte in der Säkularisation des 20. Jahrhunderts? Eine Familie - der „Kern der Gesellschaft“ – sucht sich selbst, aber nicht einander, und steht dabei zwischen Wahrhaftigkeit und moralischen Ansprüchen. Ansprüchen, die - das sagt Franzen deutlich - nicht christlich sein müssen oder sein können. So klingt der Roman: Franzen zeichnet seine Figuren in gewohnter psychologischer Virtuosität. Er greift dabei auf klassische Erzähltechniken, vergnügliche Multiperspektivität, meisterliche Dialoge, aber auch viel Introspektion seiner Figuren zurück. Das Gespür für die Würze der Kürze bleibt dabei ab und zu auf der Strecke. Trotz der Länge des Romans, Schwierigkeiten mit dem Sujet und dem Erzählbeginn waren wir größtenteils gefesselt. Das zeittypische und christlich-fundamentalistisch typische antiquierte Frauenbild (der Figuren, nicht des Autors!) erschwerte manchem den Genuss. Andere waren betrübt, dass der Roman nach nur 832 Seiten „schon“ zu Ende war, so vertraut waren sie mit den Figuren und so spannend lasen sich deren Konflikte. Bewertung: Unsere durchschnittliche Bewertung von 3,7 Punkten entstand aus sehr guten sowie eher schlechten Bewertungen. An „Crossroads“ scheiden sich nicht nur die Wege, sondern auch die unsere Geister – ebenso wie die Feuilletonisten, trotz oder wegen seines Einstiegs als Nr. 1-Bestseller auf dem deutschen Markt. Wir sind gespannt auf den nächsten Band, denn „Crossroads“ bildet den Auftakt zu einer Trilogie, deren zweiter und dritter Teil in den 2000er Jahren sowie der Gegenwart spielen soll. | ||
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Stephan Thome: "Pflaumenregen“
Identitätssuche auf Taiwan Handlung: Als der pazifische Krieg schließlich auch die Küsten Taiwans erreicht, bricht die vertraute Welt um Umeko herum zusammen. Die bisherigen Herren der Insel ziehen schmählich ab, und es beginnt eine neue Zeit: Was eben noch opportun war, wird jetzt gründlich auf den Kopf gestellt. Denn mit der Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg wird Taiwan zur Zuflucht für zahlreiche Festland-Chinesen. Chiang Kai-Shek und seine Kuomintang errichten ihre Diktatur. Umeko verliert in dieser Zeit ihre Heimat, ihren geliebten Bruder und sogar ihren Namen. Als Lee Ching-mei treffen wir Umeko, inzwischen eine alte Frau, schließlich im Taipeh der 2010er-Jahre wieder. Zu ihrem Geburtstag trifft sich die Familie in der Stadt, sogar der Sohn aus den USA ist angereist. Zum ersten Mal seit ihrer Kindheit will er Ching-mei/Umeko wieder in das Dorf ihrer Kindheit bringen. Denn dort hat sich Unaussprechliches zugetragen, und der Sohn will das Schweigen der Familie darüber endlich brechen. So klingt der Roman: Bewertung: Mit 3,4 von 5 Punkten hat „Pflaumenregen“ in unserer Abstimmung vergleichsweise gut abgeschnitten. Auch die professionelle Kritik hatte den Roman überwiegend positiv bewertet. Nicht ausgeschlossen, dass Stephan Thome wieder einmal auf der Shortlist für den deutschen Buchpreis landet. Allerdings sah sich der Autor auch dem Vorwurf nicht statthafter kultureller Aneignung ausgesetzt. Der Roman, so wurde berichtet, würde deshalb von internationalen Verlagen nicht übersetzt.
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Alex Schulman: "Die Überlebenden“
dramatisch, berührend, großartig In Schweden ist Alex Schulman als Autor und Talkshow-Moderator bestens bekannt. Neben vielen Kolumnen, Shows und Web-Blogs hat er bereits neun Bücher veröffentlicht. Eines seiner Themen ist das Verhältnis zu seiner Mutter, die sich früh in den Alkohol flüchtete und für ihr Kind oft nicht erreichbar war. Sein aktueller Bestseller „Die Überlebenden“ hat jetzt auch hierzulande Erfolg – und unseren Literaturkreis durchweg begeistert. Handlung: Aufbau: Bewertung: Auch die Shortlist fand diesen Familienroman absolut lesenwert und vergab vor allem Bestnoten für den grandiosen Aufbau und die Dramaturgie. Auch Handlung, Sprache und Stil sowie Thema haben wir durchweg gut bewertet. Mit 4,2 Punkten von 5 möglichen insgesamt erreichte „Die Überlebenden“ damit eine der besten Bewertungen der letzten zwölf Monate. | ||
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Mithu Sanyal: "Identitti“
Als Roman getarnter Essay über eine feminine Identitätspolarität Der Plot Die Herkunft ihrer Eltern – ihre Mutter ist aus Polen, ihr Vater aus Indien – konfrontiert Nivedita mit verschiedenen Kulturkreisen. Sie verehrt ihre Professorin für postkoloniale Theorie und schwärmt für deren Ansichten zum Thema rassistische Diskriminierung. Die Professorin, die sich nach der hinduistischen Göttin selbst Saraswati nennt, gibt vor, indischer Abstammung zu sein. Nivedita schwärmt auch für ihre Kusine väterlicherseits, Pretty, die von England nach Deutschland kommt. Liebesgeschichten dieser drei Protagonisten flankieren die Stories um die Identitätssuchen von Nivedita und Prof. Saraswati. Beide geraten in einen digitalen Shitstorm, als Prof. Saraswati ihre wahre Identität publik macht. Zur Autorin: Viele philosophische Ansätze ohne echte Konflikte In Rezensionen wurde der Roman überwiegend sehr positiv besprochen, zumal das Thema anfangs erfrischend und locker mit einem gewissen Witz begonnen wurde. Der Hamburger Shortlist hat die Idee des Buches zwar grundsätzlich gefallen, allerdings bleibt nach der überwiegenden Auffassung der Gruppe der Plot nach etwa einem Drittel des Buches stecken. Denn Nevidita befindet sich nach dem Auffliegen der Identität der Professorin fast nur noch in deren Wohnung. Die Themen werden diskutiert, zum Teil aber zu flach abgehandelt. Auffällig ist, dass die Eltern von Nevidita nur eine nebensächliche Rolle spielen. Ihre Mutter wirkt eher schlicht, der Vater verständnislos. Dies mag ein Grund sein, weshalb Nevidita Halt bei ihrer Professorin sucht. Diese Figur wiederum stellte im Grunde eine doppelte Provokation dar: Sie verschleiert einerseits die Herkunft und Identität ihrer Person und gibt vor eine sogenannte „Person of Colour“, kurz PoC, zu sein. Andererseits wirft sie die Frage auf, ob eine Person, die – offiziell – keine PoC ist, sich zu Themen, die PoC angehen, äußern darf und sollte. Diese sowie einige andere Situationen werden im Buch ins Absurde gesteigert und überdreht. Was als humorvolles Gestaltungsmittel gedacht ist, führt dazu, dass die inhaltliche Debatte vom Leser nicht mehr ernst genommen wird. Die Absicht des Buches ist nicht klar: Es ist halb dokumentarisch, manches wirkt jedoch überkonstruiert. Darüber hinaus gefiel den meisten aus der Gruppe die sehr lockere, jugendliche Sprache nicht. Wegen des fehlenden klassischen Handlungsstranges wurde das Buch als eher anstrengend empfunden. Bewertung | ||
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Christian Kracht: "Eurotrash“
Der Titel ist Programm Kiepenheuer&Witsch 2021, 224 Seiten Darum geht es: Die exzentrische alte Dame wähnt sich auf einer Reise nach Afrika, während der Sohn sie mit Umwegen über ein vermeintliches Hotel, ein Fischrestaurant, einen Beinahe-Raub, einen Gletscher im Geldregen und das väterliche Chateau zurück in die Psychiatrie führt. So klingt der Roman: Dabei bleiben auch Traumata, individuelle und gesamtdeutsche, nicht ausgespart. Vor allem aber berührt die unmittelbar im autorentypischen Reportagestil erzählte, mal bissige, mal liebevolle Charakter- und Beziehungsstudie von Mutter und Sohn. Das ist unsere Meinung: In den Feuilletons besprochen und überwiegend (hoch-)gelobt, für den deutschen Buchpreis auf der Shortlist, wird immer wieder auf die Verbindung zwischen diesem Roman und dem Debüt des Autors „Faserland“ (1995) hingewiesen. Tatsächlich tritt in Eurotrash und in Faserland scheinbar der gleiche Ich-Erzähler auf – oder doch nicht? Das Genre der Autofiktion wird dabei mittels doppelter Böden in „Eurotrash“ gehörig aufs Korn genommen. Die Technik des unzuverlässigen Erzählens kam in unserer Runde jedoch denkbar schlecht an. Wir diskutierten unzuverlässiges und/oder unsympathisches Erzählen allgemein. Lediglich eine Leserin wertete die erzählte Beziehungsstudie höher als den umstrittenen Stil des Romans. Bewertung: | ||
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Kazuo Ishiguro: "Klara und die Sonne“
Sind Roboter die besseren Menschen? Dystopie mit wenig Lichtblicken Karl Blessing Verlag, 2021, 350 Seiten Der Plot Die 13jährige Josie, ein Mädchen aus recht wohlhabendem Hause, entscheidet sich zum Kauf von Klara. Der Roman spielt in einer dystopischen Zukunft, in der die Gesellschaftsordnung verändert ist. Eltern müssen entscheiden, ob sie ihre Kinder genetisch verändern, um ihnen eine bessere schulische Ausbildung zu ermöglichen. Kinder, die nicht „gehoben“ sind, haben weniger Zukunftschancen, können die meisten Colleges nicht besuchen und den Schulunterricht kaum finanzieren. Josie, so erfährt man im Laufe des Buches, ist Infolge der Hebung ihrer Intelligenz häufig krank und körperlich schwach. Sie droht wie ihre Schwester Sal daran zu sterben. Während die Eltern von Josie Vorkehrungen für die Trauerverarbeitung im Falle des Todes ihrer zweiten Tochter treffen, arbeitet Klara daran, eine Heilmethode für Josie zu finden und einen Pakt mit der Sonne zu schließen. Zum Autor Ishiguro, der früher als Sozialarbeiter tätig war und sich bis heute für soziale Projekte engagiert, erhielt für seinen Weltbestseller „Was vom Tage übrig blieb“ den Booker Prize und 2017 den Nobelpreis für Literatur. Schon in 2005 hat er sich in seinem Roma „Alles, was wir geben mussten“ mit dem Zukunftsthema „Klonen und Organhandel“ beschäftigt. Kaum Drama bei gleichmäßiger Empathie Eine größere Entwicklung der künstlichen Freundin, die trotz Programmierung immer weiter dazu lernen und viel beobachten soll, kann bis zum Ende des Romans kaum entdeckt werden. Vielmehr scheint ihre Figur zum Teil nicht ganz stimmig und rund beschrieben zu sein, zumal sie als Automat bzw. Computer Furcht empfindet, mal supernaiv ist, mal übermenschlich. Auch der Autor traut sich in diesem Roman keine starken Entwicklungen und Konflikte zu. Er meidet ein schicksalhaftes Ende, setzt lieber auf ein – konstruiert wirkendes und zu schnelles – Happy End. Ein zunächst aufgebauter Spannungsbogen bleibt ohne befriedigende Lösung. Insgesamt kamen die ethischen Aspekte, insbesondere hinsichtlich künstlicher Intelligenz und ihres Einflusses auf menschliches Verhalten, zu kurz. Technikphilosophische Ansätze sind kaum erkennbar. Dadurch, dass der Autor zahlreiche Aspekte im Roman absichtlich auslässt, rätselt der Leser lange, was es mit Begriffen wie „gehoben“, „KF“ und „B3“ sowie mit der Krankheit von Josie auf sich hat oder, weshalb Josie’s Vater nicht mehr in seiner alten Arbeitsstätte tätig ist. Die Sonne, die vermutlich als roter Faden des Buches gedacht ist, und ihre – wie Klara naiv annimmt – direkt heilende Wirkung auf Lebewesen, vermag keinen Lichtblick auf die nicht näher beschriebene Dystopie, die offenbar vorherrscht, zu werfen. Das Ende des Buches erscheint selbst für einen Zukunftsroman unrealistisch. Gleichwohl regt der Roman zum Nachdenken an und war in Teilen berührend. Zahlreiche ethische Fragen zum Thema künstliche Intelligenz hätten aber noch besser abgearbeitet werden können. Bewertung | ||
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Ayad Akhtar: "Homeland Elegien“
Muslimisches Lebens in den USA: Eine Suche in Gesprächen, Begebenheiten, Situationen Claassen Verlag, 2020, 464 Seiten Das Thema hat den Autor seither nicht mehr losgelassen. Und so lässt er die Leser*innen seiner „Homeland Elegien“ teilhaben an Gesprächen, Begebenheiten, Situationen seines Lebens, die alle um die eine Frage kreisen: Wie kann man heimisch sein und werden in einem Land, in dem viele nicht erst seit den Trump-Jahren mit teils unterschwelliger, teils offener Ablehnung auf Muslime blicken? Akhtars Mutter träumt von der Rückkehr nach Pakistan – ein verklärter Blick in die vergangene Jugend, der, von einer befreundeten Familie wahrgemacht, im Albtraum des Jihad endet. Der Vater wird als Kardiologe für kurze Zeit zum Leibarzt von Donald Trump und findet Karriere und Ehre am Ende in einem von Rassismus geprägten Prozess zerschlagen. Oder Riaz, der als tollkühner Finanzjongleur die Gier des Kapitalismus für Moschee-Projekte einsetzen will. Die Antworten auf die große Frage des Buches sind so verschieden wie die Menschen, die Ayad Akhtar zeichnet. Am Ende wird klar: Er selbst wird ein Suchender bleiben. So klingt der Roman Das ist unsere Meinung Fazit | ||
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Annette Mingels: "Dieses entsetzliche Glück“
Brüchige Beziehungen Buch: Handlung: Keji hat einen Bestseller geschrieben, in dem er seine Jugendliebe zu Lucy und seine schwierige Freundschaft mit Basil aufarbeitet. Lucy, Basil, dessen Familie und deren Sichtweise kennt der Leser aus eigenen Episoden. Wie Puzzlestücke fügen sich die einzelnen Geschichten ineinander und nehmen den Leser gefangen. Autorin: Tatsächlich könne sich vieles aber auch genauso in Delmenhorst oder Blankenese abspielen, sagt Mingels in einem Interview : „Die Menschen in diesen Short Stories haben universelle Probleme, die überall auf der Welt passieren können“. Sechs Romane hat Annette Mingels bislang verfasst, Ehe und Familie spielen darin eine wichtige Rolle. Stil: Annette Mingels schreibt dabei sehr detailliert, zeichnet Gefühle und Beziehungen einfühlsam und doch unaufgeregt nach. „Der typische Mingels-Satz entfaltet seinen Zauber, seine Lebensklugheit und psychologische Präzision im leicht verzögerten Nachhall - dann aber umso stärker“, formuliert treffend die Wochenzeitung Die Zeit. Bewertung: | ||
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Deniz Ohde: "Streulicht“
Zermürbend und zugleich berührend Deniz Ohde schreibt über den Umgang der Gesellschaft mit denen, die nicht dazu gehören. In einer nicht genannten Industriestadt wächst die Ich-Erzählerin auf. Das Bild wird beherrscht von Industriescheinwerfern und dem Geruch der Müllverbrennungsanlage. Autorin: Zur These, es könnte sich um ein autobiographisches Werk handeln, äußerte sich die Autorin bisher nicht. Bewertung: Die so entstandene Zähigkeit machte es für viele von uns daher zu einem mühsamen Unterfangen, das Buch zu Ende zu lesen. Zudem frustriert die kaum zu ertragende Passivität der Protagonistin. Möglicherweise war dies jedoch das Ziel der Autorin. Lediglich dem Thema sowie dem Stil konnten einige von uns noch etwas abgewinnen. Mit 2,7 von 5 möglichen Punkten können wir dieses Buch daher nur bedingt weiterempfehlen. | ||
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Adam Haslett: "Stellt euch vor, ich bin fort“
Bewegender, wunderbar komponierter und erzählter Familienroman „Stellt euch vor, ich bin fort“ ist ein Familienroman, der aus den fünf Blickwinkeln der Familienmitglieder John, Margaret, Michael, Celia und Alec erzählt wird. Haslett macht darin den innerfamiliären Umgang mit psychischen Erkrankungen zum Thema und lässt zugleich seine persönlichen Erfahrungen mit einfließen. Handlung: Im London der 1960er Jahre erfährt die junge Amerikanerin Margaret, dass ihr britischer Verlobter John manisch-depressiv ist. Sie entscheidet sie sich für ein Leben mit ihm und somit auch mit seiner Krankheit. Ihre Familie wächst, sie ziehen nach Amerika, bekommen die drei Kinder Michael, Celia und Alec, und versuchen ihr Bestes, zunächst der Depression Johns und später der psychischen Angststörung Michaels die Stirn zu bieten. Und doch merkt man, wie sehr die Krankheit die ganze Familie im Griff hat, wie sehr sie sich in das Handeln, Denken und Fühlen aller hineingebohrt hat. Die eigentliche Handlung dieses Romans ist somit viel mehr die Entwicklung seiner fünf Protagonisten. Autor: „Stellt euch vor, ich bin fort“ ist Adam Hasletts zweiter Roman. Er wurde für den Pulitzer Preis, den National Book Award und den National Book Critics Circle Award nominiert. Der 1970 in New York geborene Autor verarbeitet mit dem Buch den Freitod seines eigenen Vaters. Er betont, dass es sein persönlichstes Werk bisher ist, an dem er über fünf Jahre gearbeitet hat. Bewertung: Obwohl dieser Roman ein so ernstes Thema wie psychische Erkrankungen und den Umgang damit thematisiert, findet auch die Kritik: „Der Roman deprimiert nicht. Er bewegt und rührt und ermutigt vielmehr dazu, das Ungeheuer mit Verständnis und Liebe zu bändigen“ (FAZ). Zusammenfassend meint auch der Tagesspiegel: „Ein komplexer, wunderbar erzählter und komponierter, manchmal zu Herzen gehender Familienroman.“ Auch in unserer Runde gab es kaum Kritik und dafür viel Begeisterung für „Stellt euch vor, ich bin fort“. Mit 4 von 5 möglichen Punkten erhielt der Roman eine der höchsten Bewertungen, die wir in der vergangenen Zeit vergeben haben. | ||
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Mario Vargas Llosa: "Harte Jahre“
Interessantes Thema enttäuschend umgesetzt, ermüdende Lektüre Darum geht es: Mario Vargas Llosa "Harte Jahre" erzählt die politische Geschichte Guatemalas zwischen etwa 1944 und 1957. Schwerpunkt sind die beiden demokratischen Präsidentschaften von Juan José Arévalo und von Jacobo Árbenz Guzmán sowie die nachfolgende Diktatur von Oberst Carlos Castillo Armas. Llosa beschreibt, wie ein Putsch die beginnende Demokratisierung des Landes im Keim erstickte. Es folgte eine Militärdiktatur von Gnaden der USA. Laut Klappentext erwarten die Leser ein "vielstimmiges Romanepos über Macht, Verschwörung und Verrat – über die Fallstricke der Geschichte und die dreisten Machenschaften imperialer Politik. Und ein virtuoser literarischer Hochseilakt" So klingt der Roman: Kein Zweifel, das Thema des Buches ist hochinteressant. Wie die USA die Demokratisierung Guatemalas von oberster Stelle untergraben und rücksichtslos unterbunden haben, ist erschütternd zu lesen. Präsident Guzman stürzte im Jahr 1954 durch einen Militärputsch, der von der CIA durch Verleumdung in die Wege geleiteten und orchestriert wurde. Anlass dieser Intervention war die bedrohte Monopol-Stellung der US-amerikanischen Fruit-Company in Guatemala. Die Regierungen unter Präsident Guzman und Arbenz planten eine Bodenreform. Sie wollten Steuern erhöhen, Gewerkschaften zulassen und gar Mindestlöhne einführen. Mit gezielten Falschmeldungen und völlig fakten-befreiten FakeNews, die dennoch von der Presse weltweit - und insbesondere in den USA - willig aufgenommen und verbreitet wurden, wurde die Angst vor einem drohenden Kommunismus und "Sowjetisierung" geschürt. Und damit das Fundament für die Intervention in Guatemala gelegt, die das Land und nicht zuletzt ganz Mittel- und Südamerika für Jahrzehnte in verheerende wirtschaftliche und politische Verhältnisse stürzte. Diese Gemengelage hat der Autor in einem übervollen Roman verarbeitet, in dem historische Tatsachen, gepaart mit realen und fiktiven Personen und eine Unmenge an Daten, Namen, Zahlen und Randnotizen mit mehreren Parallelhandlungen aufbereitet sind. Das ist unsere Meinung: Es drängt sich der Verdacht auf, dass einem hochdekorierten Literaturnobelpreisträger das Lektorat nicht in dem Maße zusetzt, wie es dem Buch (oder den Lesern) gut getan hätte. Viele von uns Leser:innen haben andere Bücher von Mario Llosa gerne gelesen. "Tante Julia und der Kunstschreiber" oder "Das Fest des Ziegenbocks" sind uns als großartige Romane in Erinnerung. Die Lektüre dieses Buches ist verglichen damit enttäuschend. Die Namensklauberei aller vorkommenden Personen ist ermüdend (und nicht notwendig), das geringschätzige Frauenbild des Autors ist entsetzlich - und selbst bei Wohlwollen nicht durch die 1950er Jahre, in denen die Handlung angesiedelt ist, zu entschuldigen. Fehlende Innerlichkeit der handelnden Personen macht es schwer bis unmöglich, die Intentionen oder gar Motivationen der Protagonisten nachzuvollziehen. Die Geschichte Guatemalas wird uns Leser:innen zugänglich gemacht - das allerdings schon im ersten Kapitel, welches wohl das spannendste und informativste des ganzen Buches ist. Nur eine Leserin in unserem Kreis konnte einen virtuosen Spannungsbogen im Buch erkennen, den anderen blieb diese Erkenntnis verwehrt. Der Spagat zwischen Belletristik und Historischem Roman ist aus unserer mehrheitlichen Sicht also nicht gelungen. Fazit: | ||
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Birgit Birnbacher: "Ich an meiner Seite“
Geschichte eines jungen Ex-Häftlings Die Geschichte: Stil & Sprache: Plot & Dramaturgie: Bewertung: Die intensive Diskussion um die Güte der Recherche, aber auch um die Glaubhaftigkeit der Hauptfigur und ihrer Motive, sowie Spekulationen um die mögliche Zukunft Arthurs, die der Roman offenlässt, hinterließ bei denjenigen, die den Roman nicht gelesen hatten, den Wunsch, das Lesen nachzuholen – keine Selbstverständlichkeit. | ||
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Adeline Dieudonné: "Das wirkliche Leben“
Von Jägern und Gejagten Darum geht es: Biederkeit und Tristesse liegen über der lieblos in die belgische Landschaft gesetzten Siedlung, in der Adeline Dieudonné ihren ersten Roman spielen lässt. Und im hellsten der Häuser herrschen in Wahrheit Düsternis und eine beklemmende Abwesenheit emotionaler Nähe. Hier lebt die zehnjährige Protagonistin mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder. Sein sorglos kindliches Lachen ist so etwas wie der Klang des Lebens in dieser Welt aus sprachloser Enge. Es wird jedoch jäh erstickt durch ein tragisches Ereignis. Fortan unternimmt die Schwester alles, um dem kleinen Gilles sein Lachen zurückzugeben. Zuerst mit kindlicher Fantasie, über die Jahre mit einem immer reifer werdenden Blick auf sich, das Leben, die Liebe. Eine Coming-of-Age-Geschichte, in der Jäger zu Gejagten werden und an deren Ende zwar kein Happy End steht, wohl aber eine Befreiung. So klingt der Roman: Das ist unsere Meinung: Fazit: | ||
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Ulrich Tukur: "Ursprung der Welt“
Vergangenheitsbewältigung mit kriminellem Bogen in zwei Parallelwelten Darum geht es: Ulrich Tukur hat einen fiktiven Roman mit historischen Bezügen und kriminalen Elementen aus der Perspektive des auktorialen Erzählers geschrieben. Seinem Nachwort kann entnommen werden, dass er historische Figuren als Vorbilder für den mordenden Arzt und den Gestapochef verwendet hat. Die Handlungen spielen in Frankreich und in Deutschland in den Jahren 2033 und 1943 (Rückblicke). So klingt der Roman: Das ist unsere Meinung: Der Autor beschreibt viele belanglose Dinge und Selbstverständlichkeiten zu lang, sodass der Sprachstil insgesamt nicht überzeugt. Der Spannungsbogen wird vornehmlich durch die Mordgeschichten aus der Vergangenheit in den Jahren 1943 und folgenden gehalten. Demgegenüber bleiben die angeblichen Unruhen in Europa zu unbestimmt beschrieben. Dass Goullet nicht seinen gebuchten Rückflug von Frankreich aus antreten kann, sondern nach Spanien flüchten muss, wie einst die Kriegsflüchtlinge des Zweiten Weltkriegs, wirkt konstruiert. Auch die Hauptfigur bleibt unscharf umrissen. Von dem eigentlichen Charakter Goullets erfährt der Leser wenig. Seine Psychose bleibt für seine Mitmenschen geheim. Das Abbrennen des Hauses seiner Adoptiveltern führt nicht zu einem runden Ende der Erzählung oder der Ausarbeitung des Charakters der Figur Goullet. Vielmehr hätte der Autor ab Seite 278 auf das Ende verzichten können. Der Autor hätte sich vermutlich besser auf den historischen Teil des Romans konzentrieren und diesen sauber recherchieren sollen. Fazit: Dies geht auch zu Lasten der Spannung, welche die kleine Detektivgeschichte um den Doppelgänger der Hauptfigur zu bieten hat. Das Thema, insbesondere das Näherbringen von Kriegsverbrechen in Frankreich und die damalige Besatzungszeit, war für einen Teil der Leser aber interessant. Insgesamt kommt die Gruppenbewertung jedoch nicht über knappe zwei Punkte hinaus. | ||
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Dror Mishani: "Drei“
Spannend, überraschend, (fast k)ein Krimi Darum geht es: Hat es daher dieses Werk als erster Krimi jemals in unseren Literaturkreis geschafft? Vielleicht. Dabei hat der Autor selbst übrigens Zweifel geäußert, ob „Drei“ überhaupt noch ein Krimi ist. Allerdings ist die Genrefrage unerheblich, viel wichtiger ist es, dass dies ein gut geschriebener und bewegender Roman ist. "Drei" portraitiert titelgebend drei sehr unterschiedliche Frauen aus Tel Aviv, die allesamt (zeitversetzt) eine Beziehung zu ein- und demselben Mann haben. Zunächst erzählt Orna, wie sie als Gymnasiallehrerin allein mit ihrem neunjährigen Sohn in Tel Aviv lebt. Über ein Datingportal lernt sie Gil kennen, einen Anwalt, Anfang 40, ebenfalls geschieden mit zwei Töchtern. Gil ist leger und humorvoll, behutsam geht er auf Orna ein und gewinnt ihre Aufmerksamkeit. Während Ornas Exmann mit neuer Frau und deren vier Kindern in Kathmandu lebt, versucht Orna schließlich, sich mit Gil ein neues Leben aufzubauen. Im zweiten Kapitel, das einige Jahre später spielt, steht Emilia im Mittelpunkt. Emilia ist eine aus Riga stammende Pflegekraft, die vor wenigen Jahren nach Israel gekommen ist. Sie pflegt und betreut Gils Vater. Als dieser stirbt, verliert sie Job und Unterkunft. Gil, in der ihm eigenen großzügig unaufdringlichen Art, stärkt ihr Selbstwertgefühl und hilft ihr, wieder Fuß zu fassen. Im letzten Kapitel geht es um Ella. Sie hat neben zwei älteren Töchtern vor zehn Monaten noch ein drittes Kind bekommen. Um der Enge ihres Alltages zu entfliehen, hat sie sich für ein Masterstudium eingeschrieben. Nach einer längeren, kumpelhaften Annäherung an Gil entwickelt sich doch mehr. So klingt der Roman: In den Kritiken zu dem Buch werden insbesondere auf zwei großen Themen hingewiesen, die wir als (deutsche) LeserInnen allerdings nur bedingt herauslesen konnten. Das ist zum Einen das Thema Diskriminierung und Machtgefüge. Gil gehört einer privilegierten Schicht an, er bzw. seine Familie stammen aus Europa ab, im Gegensatz zu den von ihm gedateten Frauen. Nur über dieses Machtgefälle, so der Autor, kann es zu den beschriebenen Verläufen kommen. Zum anderen ist es das Thema Gewalt und Grausamkeit der israelischen Gesellschaft. Zitat Dror Mishani: "Ich glaube, ich weiß jetzt, was an Drei typisch israelisch ist: die Grausamkeit, die der Roman beschreibt. In dem Sinn, dass in einer Gesellschaft, die in einem ständigen Kriegszustand lebt, eine Normalisierung und Rationalisierung von Gewalt und Tod stattfindet. Bis hin zu dem Punkt, dass man sie gar nicht mehr als Gewalt wahrnimmt. Für mich ist Drei eine Kampfansage gegen die Normalisierung von Tod und Gewalt." Das ist unsere Meinung: Fazit: | ||
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Eugen Ruge: "Metropol“
Eindrücklich. Autobiografisch. Authentisch. Darum geht es: Nach dem internationalen Erfolg von «In Zeiten des abnehmenden Lichts» kehrt Eugen Ruge zurück zur Geschichte seiner Familie - in einem herausragenden zeitgeschichtlichen Roman. So klingt der Roman: Das ist unsere Meinung: Gleichwohl wurde auch „Metropol“ intensiv besprochen. Thematisch berührt der Roman eine bisher kaum beschriebene Zeit, die zugleich Teil der deutschen Geschichte ist: der Stalinismus und die deutschen Kommunisten.Durch die autobiografischen Züge wird das Buch sehr authentisch und ergreifend. Unsere Runde hat sich dann trotz unisono geschilderter Schwierigkeiten beim Einstieg auch sehr für das Buch, dessen Sprache und Bilder begeistern können. Fazit:
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Ocean Vuong: "Auf Erden sind wir kurz grandios“
Eindrücklich. Bildstark. Kontrovers. Darum geht es: Ganz anders die Großmutter, schwer traumatisiert aus dem Vietnamkrieg und längst in ihrer eigenen Welt zuhause. Ein Leben am Rande der Gesellschaft: Sozial isoliert, versucht „Little Dog“ zunächst, so unsichtbar zu bleiben, wie es seine Familie ihm eingeimpft hat. Sichtbar werden, auffallen, bedeutet sich Gefahren auszusetzen. Trotzdem bricht „Little Dog“ als Jugendlicher aus dem engen Korsett aus und beginnt seinen eigenen Weg. Die Beziehung zu Trevor bedeutet für „Little Dog“ lang vermisste Geborgenheit, sexuelle Befreiung, aber auch Drogentrips. Erfahrungen, die Trevor in den Abgrund ziehen, „Little Dog“ aber einen wundersamen Weg hinaus aus dem Elend, hinein in den Kulturbetrieb der Ostküste weisen. Ocean Vuong wählt für seinen ersten Roman die Form eines Briefes, den „Little Dog“ an seine Mutter schreibt. Ein Brief, den die Adressatin – Analphabetin, die sie ist – niemals wird lesen können. „Auf Erden sind wir kurz grandios“ gerät so zu einer ungeschminkten Selbstbespiegelung des Briefeschreibers. Anekdotenhaft, immer wieder abschweifend, mal anklagend, mal liebevoll-verständig schildert „Little Dog“ nicht nur eine Mutter-Kind-Beziehung, sondern beschreibt zugleich ein Panorama vom Rande der amerikanischen Klassengesellschaft. Der Roman ist stark autobiografisch geprägt, aber kein Tatsachenbericht. So klingt der Roman: Das ist unsere Meinung: Fazit: | ||
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John Ironmonger: "Der Wal und das Ende der Welt“
Einfach, schlicht, vorhersehbar Roman: Die Geschichte: Bewertung: | ||
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Annette Hess: "Deutsches Haus“
368 Seiten, Ullstein Verlag, Berlin 2018 Die Idee: Annette Hess hat einen historischen, fiktiven Roman aus der personalen Erzählperspektive – der der Eva Bruhns – geschrieben. Sie macht damit auch darauf aufmerksam, wie die Kriegsgeschehnisse bei den Betroffen nachwirken und welche Form der Verantwortung sie bereit sind zu übernehmen. Vom – mittlerweile als Nazi-Jäger bezeichneten – Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, als deutscher Jude selbst ehemaliger KZ-Häftling, gingen die Anklagen gegen insgesamt 21 Männer, größtenteils zur Funktionsebene der führenden SS-Belegschaft des von 1940 bis 1945 bestehenden Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau gehörend, aus. Ihm stellt Annette Hess einen überengagierten Rechtsreferendar, David Miller, zur Seite. Zu viele Nebenstränge und Zufälligkeiten Immerhin ist der Plot spannend und ohne größere Längen gestaltet. Er erinnert dabei eher an ein Drehbuch als an einen Roman und ist rein chronologisch aufgebaut. Bewertung | ||
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Daniela Krien: "Die Liebe im Ernstfall“
Unterhaltsam ohne großen Erkenntnisgewinn Inhalt: Aufgrund dieses Klappentextes und der überaus positiven Rezensionen des Buches „Liebe im Ernstfall“ von Daniela Krien erwarteten wir ein Buch voller „Authentizität und Anschlussfähigkeit... ein gelungenes Zeugnis über die derzeitige Mentalität von selbstständigen Frauen im Osten“. Das jedenfalls verspricht uns der Perlentaucher. Bewertung Das unschöne Prädikat „Brigitte-Literatur“ fiel bei uns in der Diskussion wiederholt. Nichtsdestotrotz beinhaltet diese Prädikat eben auch, dass Stil und Sprache angenehm unprätentiös sind und das Buch einigermaßen unterhaltsam und leicht zu lesen ist. Und so kamen wir in Summe auch auf eine freundlich-indifferente 3,1 als Gesamtnote. | ||
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Monica Sabolo: "Summer“
Mysteröse, spannende Familiengeschichte Inhalt: Stil und Sprache: Spannung: Bewertung: | ||
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Nell Zink: "Virginia“
Satirisch, unpsychologisch, provokant Die Geschichte: Peggy besetzt indes ein leerstehendes, baufälliges Haus und ernährt sich von abstrusen Jobs. Die Erziehung ihrer Tochter finanziert sie durch einen makaberen Kniff: Mickie nimmt die Identität eines verstorbenen schwarzen Mädchens an und kommt in den Genuss verschiedener Förderungen im Zuge der gerade aufgehobenen Rassentrennung. Doch als beide Kinder schließlich aufs College gehen, kommt es zu einem Wiedersehen der Familie unter –natürlich - absurden Umständen. Stil und Sprache: Plot & Dramaturgie: Bewertung: | ||
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Annie Ernaux: "Erinnerung eines Mädchens“
Autobiographische, bedrückende Missbrauchsgeschichte Das Buch: Stil & Sprache: Weitere Themen des Buchs: Bewertung: | ||
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Maria Cecilia Barbetta: "Nachtleuchten“
Leicht historisch, stark atmosphärisch, zu experimentell Die Geschichte: In gehobener Wohnlage von Buenos Aires – in Ballester – wuchs die Autorin auf. Dort spielen sich die drei Abschnitte des Romans ab. Der erste Teil dreht sich um die präpubertäre Teresa, die aus ihrer gehobenen Mittelschichtsfamilie und ihrer katholischen Schule heraus in ihre Nachbarschaft geht, um Jesus zu den Menschen zu bringen, und zwar in Form einer fluoreszierenden Muttergottesstatuette. Tatsächlich erschüttert eine linksgerichtete Bewegung in den 1970ern das christlich-militärische Establishment Südamerikas, indem christliche mit sozialistischen Ideen verbunden werden. Teresas erwachsenes Pendant ist die neue Ordensschwester Maria, die sich mit dem politisch aktiven Jungpfarrer und auf dem Roller herumtreibt, anstatt im Kloster zu bleiben, wie es sich gehört. Leider hat Maria eine politisch noch unliebsamere Zwillingsschwester, mit der sie verwechselt und deswegen aus dem Weg geräumt wird. Ihr mysteriöses Verschwinden erzeugt allerlei abstruse Fantasien bei Teresa und ihren Freundinnen. Im zweiten Teil werden die Mitarbeiter einer Autowerkstatt und der Inhaber eines Friseursalons porträtiert. Zwischen literarischen Ambitionen, Verstrickungen mit Sportwagenfahrenden „desperate Housewives“, Evita-Peron-Kult und spiritistischer Akademie mäandert die Handlung dahin. Im dritten Teil schließlich geht es um eine Clique von Jungen, die unter der Führung eines wohlstandsverwahrlosten, hochbegabten vierzehnjährigen Gourmets einen vermeintlichen Katzenmassenmord und die Fluoreszenz der Muttergottesstatuette auf- bzw. erklärt. Stil und Sprache: Plot & Dramaturgie: Bewertung: | ||
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Stephan Thome: "Gott der Barbaren“
historisch, schwergewichtig, komplex Im China der 1860er Jahre trifft der britische Sonderbotschafter Lord Elgin auf eine fremde Welt, die er im Namen der britischen Krone für den Opiumhandel öffnen soll – ob der Kaiser von China nun will oder nicht. Die chinesische Regierung leistet passiven Widerstand, und so bereitet er den Militärschlag vor. Zerrissen zwischen politischer Pflicht und ethischen Fragen verliert er sich in gedanklichen Nebenschauplätzen. Warum ist sein Attaché Maddox so ein furchtbarer Streber, und was geschah wirklich mit den gebundenen Füßen der Chinesinnen? Auch der chinesische General Zeng Guofan tut, was er tun muss, um die parallel stattfindende, parachristliche Taiping-Revolution in China aufzuhalten, träumt aber indes vom ruhigen Gelehrtenleben. Seine konfuzianischen Tugenden gegenüber seiner Familie hat er schlecht erfüllt, und auch sein Protegé Li Hongzhang tanzt ihm auf der Nase herum, statt demütig Aufsätze über seine eigenen Schwächen zu verfassen. Die Taiping-Revolutionäre wollen ganz Schluss machen mit Konfuzianismus, mit Ahnenverehrung, mit der Korruption im alten Beamtenstaat China. Sie wollen eine Bodenreform zugunsten der in Armut lebenden Massen durchsetzen. Ihre Ideen haben sich von denen der pietistischen Missionare, die sie mit dem Christentum bekannt gemacht haben, schon weit entfernt. Inmitten des Bürgerkriegs zwischen kaiserlichen Truppen und Taiping-Revolutionären sucht Philipp Johann Neukamp, Missionar, Zweifler und Abenteurer, sein Glück. In unkomplizierter Sprache lädt Thome den Leser ein, dem umso komplexeren Plot zu folgen. Er spart dabei nicht an inneren Monologen, Dialogen und Originaldokumenten wie etwa historischen Zeitungsartikeln und Parlamentsreden. Plot & Dramaturgie: Nicht chronologisch und in den oben genannten vier Plots entfaltet Thome seinen Roman. Berührungspunkte gibt es zwischen den Plots nur, was die Historie betrifft. Bis auf eine Ausnahme führt der Autor aber die handelnden Personen nicht zusammen. Missionar Philipp ist die einzige Figur, die kein echtes historisches Vorbild hat. Bewertung: Die durchschnittliche Bewertung von 3,8 repräsentiert nicht unser Qualitätsurteil: Nur wenige von uns lasen den ambitionierten Roman überhaupt zu Ende. Schuld trugen Längen im Mittelteil, Zerfaserung des Plots in rein episodische Fäden und Handelnde, die uns nicht recht ans Herz wachsen wollten. So störten dann die brutalen Kriegsszenen nur diejenigen, die überhaupt bis zu ihnen vorzudringen vermochten. Die fühlten sich dafür aber mit enormem Wissen nicht nur über eine fremde Kultur, sondern auch über eine hierzulande kaum bekannte humanitäre Katastrophe bereichert. Thome bedient sich am Fundus seines Stammberufs als Sinologe. Dem schwergewichtigen Sujet hätte es gut getan - gegen den literarischen Trend - keinen fiktionalen Helden hinzuzufügen. | ||
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Fernando Aramburu: "Patria“
Spannend, aufwühlend, brillant erzählt Thema: 2011 gibt die ETA des Endes des bewaffneten Kampfes bekannt. Doch für die Bewohner eines kleinen Dorfes im spanischen Baskenland ist kein Friede in Sicht. Anhand der Geschichte zweier Familien lotet der Autor im Verlauf von 125 kurzen Kapiteln, die allesamt einen Titel tragen, das Verhältnis von Opfern und Tätern aus. Fernando Aramburu ist selbst Baske, lebt aber schon seit über 30 Jahren in Deutschland. In Spanien erschien Patria bereits 2016. Inhalt: Bittori – eine der neun Hauptfiguren des Romans- sitzt am Grab ihres Mannes Txato, der vor über zwanzig Jahren von Terroristen der Terrororganisation erschossen wurde, da er vermeintlich die ‚Revolutionssteuer` schuldig blieb. Die von der ETA so genannte ‚Revolutionssteuer‘ ist die Haupteinnahmequelle der Terrororganisation. Ihre Opfer sind vor allem baskische Großindustrielle und Großunternehmer. Bittori erzählt ihm, dass sie beschlossen hat, in das Haus, in dem sie wohnten, zurückzukehren. Denn sie will herausfinden, was damals wirklich geschehen ist, und wieder unter denen leben, die einst schweigend zugesehen hatten, wie ihre Familie ausgegrenzt wurde. Das Auftauchen von Bittori beendet schlagartig die vermeintliche Ruhe im Dorf. Vor allem die Nachbarin Miren, damals ihre beste Freundin, heute Mutter eines Sohnes, der als Terrorist in Haft sitzt, zeigt sich alarmiert. Dass Mirens Sohn etwas mit dem Tod ihres Mannes zu tun hat, ist Bittoris schlimmste Befürchtung. Die beiden Frauen gehen sich aus dem Weg, doch irgendwann lässt sich die lange erwartete Begegnung nicht mehr vermeiden und es kommt zu ersten Annäherungsversuchen. Bewertung: Wohl lange nicht wurde in unserem Literaturkreis ein Roman so überaus gut besprochen wie Patria. Er erhielt in der durchschnittlichen Gesamtbewertung 4,4! Die Mehrzahl der Lesenden gab dem Roman die Höchstnote für Dramaturgie und Spannung, auch die facettenreiche und glaubwürdige Charakterisierung der einzelnen Figuren wurde von fast allen gelobt. Darüber hinaus wurden auch Stil und die recht schmucklose, auf Metaphern weitgehend verzichtende, lakonische Sprache mit überwiegend positiv bewertet. Interessant ist der stetige Wechsel der Erzählperspektiven, die dem Erzählten zusätzliche Dimensionen verleiht. Abgesehen davon stieß aber auch das Thema auf großes Interesse. Ein überaus lesenswertes Buch! | ||
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João Tordo: "Die zufällige Biographie einer Liebe“
Komplex, melancholisch, schicksalshaft Inhalt: Die Gegenwartshandlung des Romans spielt offenbar in etwa zur Zeit des Erscheinens der portugiesischen Originalfassung (2014). Der Ich-Erzähler, ein Dozent für englische Literatur im spanisch-galizischen Santiago de Compostela, lernt im nahen Pontevedra einen jungen mexikanischen Dichter, Miguel Saldaña París, kennen. Die beiden freunden sich an. Im Laufe der nächsten Monate erfährt der Ich-Erzähler immer mehr über das bewegte Leben seines Freundes, bis dieser ihn eines Tages bittet, ein Manuskript an seiner statt zu lesen, welches vermeintlich von seiner vor etwa einem Jahr in Galizien verstorbenen Ehefrau, Teresa geb. de Sousa, welche ihn vor sieben Jahren urplötzlich verließ (ohne dass sie sich hätten scheiden lassen), verfasst wurde. Er selbst brächte es nicht über sich, ihre Zeilen zu lesen. Der Ich-Erzähler willigt ein und deckt im weiteren Verlauf der Geschichte zahlreiche dunkle Geheimnisse aus dem Leben von Miguel und Teresa auf. Nach einem schrecklichen Vorkommnis macht sich der Ich-Erzähler schließlich auf, um die letzten „dunklen Flecken“ der beiden zu erhellen. Ein Vorhaben, dass ihn u.a. nach London, Kanada und Lissabon führen wird … Thema und Sprache: Neben der zentralen Liebesgeschichte zwischen Miguel und Teresa spielt die Freundschaft zwischen dem Ich-Erzähler und dem mexikanischen Dichter eine wichtige Rolle. Eine Freundschaft, die bei aller Intensität auch äußerst konfliktgeladen ist und schließlich in eine Katastrophe zu führen droht. Auf den zweiten Blick fällt auf, dass Tordo insbesondere dem Konzept der Melancholie viel Raum widmet; es darf vermutet werden, dass er diesen Begriff synonym oder doch wenigstens eng verwandt mit dem im Portugiesischen Sprachraum sehr verbreiteten Begriff der saudade (in etwa: Weltschmerz, sanfte Melancholie) verwendet. Ein zentrales Thema in der zweiten Hälfte des Romans ist die „Übernahme“ bzw. der „Übergang“ der Melancholie Saldaña París‘ auf den Ich-Erzähler. Das Motiv der verlorenen Liebe knüpft thematisch stark an das saudade-Konzept an. Aufbau und Dramaturgie: Tordo nutzt zahlreiche Textformate, um die Biographien Miguels und Teresas darzustellen, u.a. klassisch-literarisches Erzählen, (fiktiv) autobiographische Manuskripte, Interviews u.a. Überdies arbeitet er mit zahlreichen Rückblenden, die durch den Ich-Erzähler in der Gegenwartshandlung gewissermaßen „zusammengehalten“ werden. Auffällig ist, dass zahlreiche Informationen in Gesprächen mit Bekannten Miguels/Teresas gegeben, man könnte auch sagen: aus der Nase gezogen, werden, wodurch einige Teilnehmer das Gefühl hatten, dass dem Roman jener „Sog“ abhanden kommt, der oft entsteht, wenn weniger berichtet, als (subtil) „gezeigt“ wird (i. S. d. „show, don’t tell!“). Die Handlung ist nicht strengchronologisch aufgebaut, steuert allerdings zielstrebig auf die Aufdeckung eines düsteren Geheimnisses aus Teresas Leben hin. Bewertung: Die Bewertungen fielen gemischt aus, wobei im Schnitt 2,3 von maximal 5 Punkten vergeben wurden (Range: 1,0-3,4). Bemängelt wurden von einzelnen Teilnehmern u.a. fehlende Emotionalität der Darstellung, „Hyperkonstruktion“ der Geschichte sowie wiederholte, als störend empfundene metafiktionale Exkurse Tordos/des Ich-Erzählers. Positiv bewertet wurde unter anderem häufig die poetische Sprache bzw. der Stil Tordos sowie die Spannung, die sich aus der Rekonstruktion der Biographie(n) ergibt sowie die Darstellung/Charakterisierung Teresas. | ||
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Ayelet Gundar-Goshen: "Lügnerin“
Kaleidoskop der Lügen-Arten in postfaktischen Zeiten Lügnerin ist der dritte Roman der 1982 geborenen israelischen Autorin und spielt in Tel Aviv. Die Geschichte handelt von der 17-jährigen Nuphar, einem unauffälligen junges Mädchen, das von dem Wunsch beseelt ist, gesehen zu werden. Sie steht im Schatten der jüngeren, attraktiveren Schwester. Nuphar arbeitet in ihren Schulferien in einer Eisdiele, die eines Tages von einem missgestimmten, ehemaligen Schlagersternchen, Avischai Milner, betreten wird. Der erzürnt sich über eine sprachliche Korrektur von Seiten der jungen Verkäuferin. Er wird verbal derart ausfallend, dass das Mädchen in den Innenhof flieht. Der Promi folgt ihr fluchend, wird dann aber von dem Schrei des Mädchens in die Flucht geschlagen. Als sich eine Soldatin nähert und Nuphar fragt, ob Milner sie sexuell belästigt habe, bejaht sie dieses. Daraufhin steigen alle Medien auf diese Nachricht ein. Nuphar wandelt sich vom ‚hässlichen Entlein‘ zur Medienprinzessin, die es aufgrund dieser Lüge endlich schafft, gesehen zu werden. Auch im weiteren Verlauf der Handlung, trotz gewisser Skrupel angesichts des Unrechts, das dem ehemaligen Medienstar angetan wird, wird die Lüge aufrecht gehalten. Doch dies ist nicht die einzige Lüge, die den Roman dominiert. Auch eine Vielzahl anderer Personen um die Protagonistin herum haben ihre eigenen Lügengeschichten. Im zweiten Teil des Romans wird eine weitere Person eingeführt: Raymonde, die, um ihrer Einsamkeit zu entfliehen, gar zur Lüge greift, in einem Konzentrationslager eingesessen zu haben. Nuphar begegnet der alten Dame auf einer Klassenreise nach Polen. Themen des Romans: Die Autorin widmet sich dem Thema der Lüge in einer Vielzahl von Ausprägungen. Anzumerken ist aber, dass sie dies nicht moralisierend mit erhobenem Zeigefinger tut. Letztendlich verleiht sie dem vordergründig Verurteilungswürdigen einen menschlichen Anstrich. Sie trifft in unserem postfaktischen Zeitalter einen wichtigen Kern, dass es nämlich keine Gewissheiten mehr gibt. Im Schlusskapitel des Romans weitet sich denn auch der Horizont der Handlung. Die Lüge greift über in die Welt der Nachrichten und Geheimdienste. Stil und Sprache: An Stil und Sprache entbrannte in unserer Gruppe die Diskussion über die Rolle von Übersetzungen. Viele Vergleiche und Metaphern wurden als derart hanebüchen beurteilt, dass wir dieses auf Übersetzungsschwierigkeiten zurückführten. An vielen Stellen des Romans erschien uns die Sprache sehr ungelenk und zum Teil unpassend. Bewertung: Lediglich 2,45 von 5 Punkten erreichte der Roman in der Gesamtwertung. Neben der oben genannten Kritik zur Sprache wurde kritisch angemerkt, dass keine der Figuren wirklich ausgearbeitet scheint und insbesondere die Einbeziehung der Figur der Raymonde mit ihrer erfundenen Zeitzeugenschaft den Roman überfrachtet. | ||
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Robert Menasse: "Die Hauptstadt“
Politisch, intelligent, spannend Es geht um Politik, um die EU-Kommission, um deren Mitarbeiter und vor allem um die europäische Idee. Mit seinem pointierten und unterhaltsamen Gesellschaftsroman gewann der österreichische Autor Robert Menasse den Deutschen Buchpreis 2017. Die Hauptstadt sei ein “vielschichtiger Text, der auf meisterhafte Weise existenzielle Fragen des Privaten und Politischen miteinander verwebt und den Leser ins Offene entlässt“ begründet die Jury ihre Wahl. Menasse mache klar, „dass die Ökonomie allein uns keine friedliche Zukunft wird sichern können.“ Er erinnert auch in diesem Werk an die Wurzeln der europäischen Union und deren Gründungsidee: durch ökonomische Verflechtung künftige Kriege unmöglich zu machen. Handlung: Das will allerdings in der EU-Kommission außerhalb der Kultur keiner. Der Roman erzählt aus ganz verschiedenen Perspektiven, wie dieses Projekt scheitert und zwischen persönlichen und politischen Interessen des EU-Apparates zerrieben wird. Neben der ehrgeizig Karrierebeamtin Fenia Xenopoulou und ihrem Referenten Martin Sustmann samt diversen weiteren Mitarbeitern der Kommission agieren in dem Roman noch weitere zentrale Charaktere. Autor: Bewertung: Auch in unserer Gruppe gab es kaum Kritik und viel Begeisterung für die „Hauptstadt“. Vor allem der Stil und die Sprache des Buches wurden als sehr gelungen bewertet. Mit 4 von 5 möglichen Gesamtpunkten erhielt der Roman eine der höchsten Bewertungen, die wir in den vergangenen Jahren vergeben haben.
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Yaa Gyasi: "Heimkehren“
Leidvolle Familiengeschichte auf zwei Kontinenten Yaa Gyasi wurde in Ghana geboren und ist mit ihren Eltern in die USA eingewandert. Mit ihrem Roman „Heimkehren“ hat die junge Autorin ihr Debüt vorgelegt. Die Geschichte: Im weiteren Verlauf zeichnet der Roman anhand von 14 Geschichten das Schicksal der Schwarzafrikaner in den Vereinigten Staaten sowie der in Afrika verbliebenen Bevölkerung nach. Neben einer Familiengeschichte ist „Heimkehren“ damit zum großen Teil eine Geschichte der Sklaverei, der Unterdrückung und des Leidens. Da die vielen Namen ansonsten verwirren, ist es sinnvoll, von Beginn der Lektüre an den Stammbaum am Ende des Romans als Orientierungshilfe zu nutzen. Themen des Romans: Stil und Sprache: Bewertung: | ||
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Edna O’Brien: "Die kleinen roten Stühle“
Kriegsverbrecher betört irisches Dorf Die Geschichte: Die unglücklich verheiratete Fidelma, früher Inhaberin einer Modeboutique, die dem infrastrukturellen Aufschwung der Region zum Opfer fiel, hat einen dringlichen Kinderwunsch. Sie verliebt sich in Dr. Dragan und bietet sich ihm an, um ein Kind zu zeugen. Dr. Dragan lässt sich darauf ein und entwickelt parallel leicht skurrile Nebentätigkeiten als Kindergärtner und Führer einer literarischen Reisegruppe. Doch ein Dorfbewohner, Immigrant aus Dr. Dragans Heimat Serbien, erkennt ihn. Noch im Reisebus wird Dragan verhaftet und zum Kriegsverbrechertribunal in DenHaag gebracht. Für die schwangere Fidelma beginnt nun eine Odysse des Verrats, der Stigmatisierung, der Gewalt, der Heimatvertreibung und des Rassismus. Stil & Sprache: Einige störten sich an den vielen, willkürlich und teils zusammengewürfelt wirkenden Zeit- und Perspektivsprüngen. Andere sahen in der leicht chaotischen Form einen passenden, technisch virtuosen Spiegel der chaotischen Ereignisse vor Allem des zweiten und dritten Teils. Auch das Tempo steigert sich vom zweiten Teil an deutlich, möglicherweise aus demselben Grund. Plot & Dramaturgie: Kollektive Schuld, kollektive Schuldverdrängung per Sündenbock sowie individuelle Fahrlässigkeit und Naivität sind die zentralen Themen dieses Romans, der seine in der Presse gepriesene Virtuosität erst auf den zweiten Blick entfaltet. Das Wissen um den historischen Hintergrund ist Voraussetzung dafür. Wie aus Briefen angedeutet weist die Figur Dragan starke Bezüge zu Radovan Karadzic auf, einem der verurteilten Hauptkriegsverbrecher aus den Jugoslawien-Kriegen in den 1990er Jahren. Den Landsleuten von Radovan Karadzic wurde vorgeworfen, ihn jahrelang gedeckt und versteckt zu haben. Denn er praktizierte, obwohl als Kriegsverbrecher gesucht, jahrelang nach Kriegsende als Heilpraktiker in Belgrad. Mithin unterstellte man seinen Landsleuten, was auch die Figur des Dr. Dragan bis zum Ende aufrecht erhält: Die Billigung von Völkermord als „Notwehr“ und deren religiöse und völkische Motivation als sich im Zirkelschluss selbsterklärende, legitime Weltanschauung. Bewertung:
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Lauren Groff: "Licht und Zorn“
Geschichte einer Ehe aus zwei Perspektiven In zwei Teilen beschreibt Lauren Groff die Geschichte der Ehe zwischen Lancelot (genannt „Lotto“) und Mathilde Sattherwhite. Ein Roman, dessen Gehalt und wahre Geschichte erst in der zweiten Hälfte des Buches zum Vorschein kommen, da ein Perspektivwechsel ungeahnte Hintergründe aufzeigt. Autorin Inhalt In der zweiten Hälfte des Romans geht es um Mathilde, die hinter ihrem Lächeln ihren „Zorn“ verbirgt. Dieser Teil liest sich wie eine Antwort auf den ersten Teil: Angerissene Gedanken und offen gebliebene Fragen werden in diesem Teil, der die gesamte Ehe aus der Perspektive von Mathilde aufrollt, beseitigt. Das bisher unvollständige Bild über die Ehe fügt sich langsam wie eine Art Puzzle zusammen und zeigt dem Leser ungeahnte Geschehnisse und insbesondere eine Tiefgründigkeit auf, welche der erste Teil vermissen ließ. Aufbau Erstaunlich und interessant ist vor allem, wie viele Geheimnisse die Ehe ausgehalten hat, ohne dass die Liebe jemals daran zu zerbrechen drohte. Mathilde hat Lotto nicht nur ihr Vorleben verschwiegen, auch der Grund für die kinderlos gebliebene Ehe und weitere brisante Zusammenhänge werden aufgedeckt. Bewertung | ||
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Franzobel: "Das Floß der Medusa“
Mitreißender, unkonventionell erzählter Historienroman Zu grausam? Zu roh? Handlung Franzobel erspart dem Leser nichts, das Unvorstellbare findet hier seine Versprachlichung, Etappe für Etappe des nahenden Unglücks werden in der ersten Hälfte des Romans in spannungsvoller chronologischer Abfolge erzählt. Dass dieser Stoff, der die Gefährdungen und Grenzen menschlicher Kultur in bedrohter Lage aufzeigt, nicht zu schwer daherkommt, liegt am frechen und unkonventionellen Ton des Erzählers, der trotz aller Tragik des Geschehens, eine zuweilen gar heitere Distanz schafft. So werden einzelnen Figuren Physiognomien von Hollywood-Schauspielern beigegeben und auch Intimstes wie beispielsweise die Diarrhoe des Kapitäns u. ä. wird hier nicht ausgespart. Bewertung Lediglich sieben Mitglieder brachten in dieser Runde ihre Wertung ein, wobei es hier von zwei Lesern die absolute Höchstwertung von 5,0 gab, gefolgt von zweimal 4,6! Nur eine Leserin zeigte sich in allen Bereichen enttäuscht und vergab insgesamt eine 1,0. Zusammengerechnet kam die Gruppe auf eine 3,9. | ||
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Julian Barnes: "Der Lärm der Zeit“
Komponist zerbricht an diktatorischem Regime Der britische Autor Julian Barnes hatte 1984 mit dem Roman „Flauberts Papagei“ seinen literarischen Durchbruch. In seinen Büchern beschäftigt er sich regelmäßig mit Literatur, Kultur und dem Unterschied zwischen Sein und Schein. Viele seiner Werke haben zudem einen geschichtlichen Bezug. Dimitri Schostakowitsch wurde 1906 in Petrograd (Petersburg) geboren und komponierte bereits als elfjähriger seine ersten Werke.1936 erklärte ihn Stalin wegen seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ zum Staatsfeind. Die Angst vor dem Regime bestimmt fortan sein Leben. Widerstrebend folgt Schostakowitsch mit seinen Kompositionen und seinem Lebens als Künstler den herrschenden und wechselnden Leitlinien der russischen Kulturpolitik. Schostakowitsch, zeigt Barnes, beugt sich der politischen Macht, um seine Familie zu schützen, weiter arbeiten zu können und um nicht in Gefangenschaft zu geraten. Äußerlich ist er ein gefeierter Mann, eine Persönlichkeit. Seine Musik wird gerühmt, er bekommt wichtige Ämter und herausragende Auszeichnungen. Doch Schostakowitsch zerbricht an seinem Leben, weil er verachtet, was aus ihm geworden ist. Inhalt: Auf der Treppe: Dimitri Schostakowitsch sitzt nächtelang mit gepacktem Koffer neben dem Aufzug. Er rechnet mit seiner Abholung durch den Geheimdienst. Die Bedrohung durch die politischen Machthaber lassen ihn nicht schlafen. Gedanken jagen durch seinen Kopf und gehen zurück in die Vergangenheit, seine Kindheit, seine erste Liebe zu Tanja. Seine erste Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ entsteht. Auf der einen Seite wird die Oper international gefeiert, auch in der UdSSR, jedoch später von Stalin verurteilt. Stalins Ablehnung ist der Grund für seine momentane bedrohliche Lebenssituation. Im Flugzeug: „Dies war die schlimmste Zeit“, so beginnt der zweite Abschnitt des Buches, die Zeit seines Schaffens hauptsächlich unter Stalin. Bei der Reise in die USA, nach New York zum Weltfriedenskongress hat er zwiespältige Gefühle. Er wird unter Druck gesetzt, mit der russischen Delegation mitzufliegen. Das erhoffte Gefühl von Freiheit bleibt aus. Die Reise verläuft nicht so frei wie gedacht sondern eher demütigend. Schostakowitsch beginnt „realistische“ Musik zum Wohle des Volkes zu komponieren, Sinfonien und auch Filmmusiken. Dafür bekommt er etliche sowjetische Auszeichnungen. Er steht unter ständiger Beobachtung und tritt gegen seine Überzeugung der kommunistischen Partei bei. Dadurch erhält er einen Posten im sowjetischen Komponistenverband. So schützt er sich und seine Familie und kann so seine Existenz sichern. Eigentlich möchte er aber sein Leben der Musik widmen und komponieren. Im Auto: Schostakowitsch lebt wohlsituiert in Moskau. Chruschtschow ist an der Macht. Die politische Situation ist leichter geworden. Er sitzt im Auto hinter seinem Chauffeur und betrachtet ihn von hinten. Seine Gedanken wanderten zurück. Seine Frau Nina war gestorben, von der zweiten hat er sich scheiden lassen und die dritte war nur zwei Jahre älter als seine Tochter. Schostakowitsch ist krank, verkannt, verehrt, verunsichert und mit sich unzufrieden. Bewertung: | ||
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Dorit Rabinyan: "Wir sehen uns am Meer“
Moderne Romeo und Julia-Story Hintergründe In der Presse wird die Story als moderne Fassung von Romeo und Julia gesehen. Eher handelt es sich aber wohl um die zwei Königskinder, die nicht zu einander kommen können, da das Wasser zu tief ist und der Königssohn nicht schwimmen kann. Der Klappentext des Verlages verspricht eine Liebesgeschichte vor einem politischen Nahost-Konflikt. Tatsächlich spielt der Hauptteil des Romans in New York. Nur das Ende, ab Kapitel 29 von 37 und damit auf 62 von 379 Seiten, spielt sich überhaupt vor Ort in Nahost, unter anderem in Tel Aviv, Jaffa und Hebron ab. Dass das israelische Bildungsministerium das Buch auf den Index setzte und es ablehnte, den Roman als Lektüre in der Schule zu empfehlen, ist in der deutschen Presse negativ aufgenommen worden, zumal das Buch den Bernstein-Preis der israelischen Verlegerorganisation erhalten hatte. Begründet wurde die Entscheidung des Ministeriums damit, dass die Geschichte über eine Liebe einer Jüdin zu einem Palästinenser bzw. nichtjüdischem Mann die separate Identität der Juden bedrohe und die Assimilation fördere. Das Buch stand jedoch auf der Liste der zehn besten Bücher des Jahres der Tageszeitung „Ha’aretz“. Die Autorin ist auf dem internationalen Literaturfestival in Berlin im September 2017 zu Gast und stellt ihr Buch vor. Begrenzte Liebe Diese politischen Dimensionen, die von der Ich-Erzählerin aus der israelischen Sicht immer wieder aufgegriffen werden, sind interessant und der politische Konflikt und die Liebesgeschichte sind sehr gut miteinander verknüpft. Die starke Bindung der Jüdin an ihre Familie und ihr Heimatland wird überaus deutlich. In der doch recht lang umschriebenen Liebesgeschichte des ersten Teils („Herbst“) sind trotz zahlreicher Be- und Umschreibungen die Persönlichkeiten der beiden Protagonisten aber nicht hinreichend klar umrissen, insbesondere nicht die der Ich-Erzählerin. Fraglich bleibt, woher die erotische Faszination füreinander kommt, sodass die Liebesbeziehung nicht glaubhaft erscheint. Insgesamt nimmt diese zu viel Raum ein und plätschert fast immer gleichbleibend vor sich hin. Erst zum Ende hin kann der Leser mit den Liebenden mitfiebern, ob sie letztlich noch dauerhaft werden zusammenleben können. Der zweite Teil („Winter“), der mit über 200 Seiten den längsten Part des Romans ausmacht, ist hingegen viel besser gelungen. Wie die beiden Protagonisten den für sie ungewöhnlich harten Winter erleben, ist sehr gut beschrieben. Die Ich-Erzählerin gibt zahlreiche Beispiele für die Konflikte auf, die sich aus den unterschiedlichen Kulturen und politischen Ansichten der beiden Protagonisten ergeben. Dies wurde zum Teil jedoch als zu konstruiert und plakativ empfunden, zumal die Geschichte kurz nach dem 11. September 2001 in New York spielt. Bewertung | ||
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Nathan Hill: "Geister“
Mitreißender US-Roman, der Psychologie und Zeitgeschehen geschickt zu verbinden weiß Der Debütroman von Nathan Hill erschien 2016 in den USA unter dem Titel „The Nix“. Viel Lob von Seiten der Kritik, aber auch von seinem Mentor John Irving wecken hohe Erwartungen. Irving hat Hill sogar mit Charles Dickens verglichen. Autor Hill, laut Wikipedia 1978, laut Verlag 1976 in Iowa geboren, hat zehn Jahre an diesem Roman gearbeitet. Donald Trumps Wahlerfolg verstärkt noch das Interesse an dem Roman, da er quasi die aktuellen Geschehnisse in der US-Innenpolitik vorwegzunehmen scheint. “The Nix“ wird direkt in zwanzig Sprachen übersetzt. Inhalt und Aufbau: Im Zentrum steht das Trauma eines verlassenen Kindes und die Weitergabe dieses Traumas über nachfolgende Generationen hinweg. In zehn Kapiteln und einem Prolog verbindet Hill die Schicksale von bald einem Dutzend Personen. Protagonist des Romans ist Samuel, der weder als Schriftsteller noch als Literaturdozent zu reüssieren weiß und dann plötzlich nach 23 Jahren seiner Mutter wiederbegegnet. Diese wird in der Presse als Terroristin hochstilisiert, da sie (scheinbar) einen Angriff auf den rechtskonservativen republikanischen Präsidentschaftskandidaten begeht. In Rückblenden erfahren wir dann von den wahren Beweggründen von Samuels Mutter und ihrer Entwicklung als Jugendliche und Studentin in Chicago, wo sie zur unfreiwillig Beteiligten der Studentenrevolte wird. Neben diesem Erzählstrang werden aber auch die anderen Figuren sehr eigenständig gezeichnet. Alle Schicksale laufen zum Schluss zusammen und werden vom Erzähler gebündelt. Stil und Sprache: Bewertung: | ||
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Ian McEwan: "Nussschale“
Kriminalgeschichte auf hohem sprachlichem Niveau Zum 400. Todestag von William Shakespeare im Jahr 2016 hat der Verlag The Hogarth Press, der 1917 von Leonard und Virginia Woolf gegründet wurde, namhafte Schriftsteller zu Neuerzählungen von Shakespeare-Werken aufgefordert. "Nussschale" ist der Beitrag von Ian McEwan. Inhalt und Aufbau: Stil und Sprache: Bewertung: | ||
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Elif Shafak: "Der Geruch des Paradieses“
Hochaktuelle poetische fesselnde Geschichte über Glauben, Identität und die Türkei Inhalt: Die blutige Auseinandersetzung auf der Straße und zu viel Wein später inmitten der wohlhabenden, doch in latenter Angst vor dem Staat lebenden und feiernden Gesellschaft führen Peri in Gedanken zurück in ihre Kindheit und nach Oxford. Diese Kindheit in den 80er Jahren ist vom Streit um den richtigen Umgang mit Gott geprägt. Der Vater ist streng weltlich. Atatürks Portrait hängt überall im Haus. Peris Mitter nimmt dagegen ihren Glauben zunehmend ernster. Sie verbietet der kleinen Peri sogar Schuhe, da Leim aus Schweineknochen enthalten sein könnte. Peri muss mit Sandalen in die Schule gehen. Zwischen diesen beiden extremen Polen versucht Peri ihre eigene Antwort auf die Frage nach Gott zu finden. Während die Eltern sich täglich zu Hause bekriegen und der geliebte Bruder wegen seiner politischen Aktivitäten gefoltert und schließlich ins Gefängnis geworfen wird, will Peri alles richtig machen. Sie flüchtet sich ins Lernen und Lesen und schließt die Schule als Jahrgangsbeste ab. Damit erfüllt sich ein Traum ihres Vaters: Peri stehen die Türen für ein internationales Studium offen. Ihre Zeit in Oxford wird durch zwei Freundinnen bestimmt, mit denen sie schließlich auch zusammen in eine Wohnung zieht: Shirin, Iranerin, und Mona, Ägypterin. Die eine liberal, die andere religiös. Alle drei sind von ihrem Professor fasziniert – Azur, der Bücher über Gott veröffentlicht und Seminare dazu abhält. Peri, die Philosophie studiert, erhofft sich hier Antworten auf die Fragen, die sie seit ihrer Kindheit verfolgen. Die 45jährige Politikwissenschaftlerin Elif Shafak thematisiert immer wieder das Leben muslimischer Frauen zwischen Tradition und Moderne, zwischen religiös geprägten Moralvorstellungen und dem Wunsch nach Selbstbestimmung. Dabei gibt sie den verschiedenen Lebensentwürfen ihren Raum, ohne zu werten. Thema und Sprache: Aufbau und Dramaturgie: Schade auch, dass die drei Freundinnen in ihren langen und kontroversen Diskussionen in Oxford keine neuen und überzeugenden Argumente für ihre persönliche Lebensweise und ihren Umgang mit Gott finden. Dementsprechend fand unsere Gruppe den Aufbau und die Dramaturgie auch nicht ganz überzeugend. Bewertung: | ||
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Han Kang: "Die Vegetarierin“
Spannend, verstörend, aber auch berührend »Ich hatte einen Traum« erklärt Yong-Hye - in den Augen ihres eigenen Ehemannes bis dahin durchschnittlichste Frau der Welt - als sie beschließt, Vegetarierin zu werden. Sie verzichtet fortan auf alle tierischen Produkte in ihrem Leben. Die bis dahin ohnehin leidenschaftslose Ehe löst sich auf, wie auch alles andere in Yong-Hyes Welt. Die nur vorgeblich funktionale Beziehung zu ihren Eltern und Geschwistern zerfällt, ebenso das trügerische Eheglück ihrer ernsthaften, bis zum Ende pflichtbewusst-fürsorglichen und selbstlosen Schwester In-Hye. Und letztlich Yong-Hye auch selbst. Inhalt & Aufbau: Stil & Sprache: Bewertung: | ||
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Steven Galloway: "Der Illusionist“
Leicht lesbare Lektüre zwischen Wahrheit und Illusion Luchterhand, 2015, 349 Seiten Als Martin Strauss von seinem Arzt erfährt, dass er an Konfabulation, einer unheilbaren und fortschreitenden Erinnerungsstörung, leidet, will er unbedingt seine Erinnerungen an sein Leben an der Seite des Magiers und Entfesselungskünstlers Houdini rekapitulieren. Martin Strauss hat Houdinis Aufstieg und Fall begleitet, glaubt er zumindest. Er hat ihn schließlich sogar getötet, glaubt er zumindest. Doch was ist wahr an Strauss´ Erinnerung, und was ist Illusion? Stil und Sprache: Um so lebhafter und unterhaltsamer sind Strauss´ Erinnerungen an sein eigenes Leben dargestellt. Auch der Erzählstrang, in dem er die Diagnose Konfabulatur erhält und beschließt, seine Erinnerungen umgehend noch einmal zu erzählen, ist einfühlend, einfallsreich und mit sehr feinem Humor geschrieben. Bewertung: | ||
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Jane Gardam: "Ein untadeliger Mann“
Leicht zu lesende, bewegte und bewegende britische Lebensgeschichte Mit einer kurzen Unterhaltung zweier Mitglieder in der Londoner Honourable Society of Inner Temple über Old Filth beginnt Jane Gardam den ersten Teil ihrer Triologie, in dem sie anhand zweier Erzählstränge die Lebensgeschichte des britischen Gentlemans Edward Feathers beschreibt. Inhalt: Bewertung: Einig waren wir uns allerdings darin, dass wir die überschwenglichen Kritiken, die Jane Gardams Roman als Meisterwerk feiern und mit Werken wie „Der große Gatsby“ und „Abbitte“ auf eine Stufe stellen, nicht nachvollziehen können. Insgesamt vergaben wir 3,1 von 5 Punkten und meinen: Wer „Ein untadeliger Mann“ gern gelesen hat, wird auch den zweiten Teil der Trilogie „Eine treue Frau“ sehr mögen. | ||
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Elena Ferrante: "Meine geniale Freundin“
Neapel-Epos über eine Kindheit in den 50er Jahren In vier Büchern beschreibt die Autorin, die unter dem Pseudonym Elene Ferrante publiziert, die Freundschaft zwischen zwei Frauen, die aus einem armen und von Gewalt regierten Viertel Neapels stammen. Elena Greco, die Lenu genannte Tochter des Pförtners, und Lila, die Tochter des Schusters, verbindet von ihrer Kindheit an eine Haßliebe, die das Leben der beiden prägt. Die Tetralogie löste insbesondere in den USA ein Ferrante-Fieber aus, dem Kritiker und Schriftsteller in Reihen verfielen. Danach begann man sich auch in Deutschland für die Neapel-Saga zu interessieren. Im August erschien der erste Band mit seinen 422 Seiten, und nun fiebern auch einige aus unserer Gruppe den Fortsetzungen entgegen. Inhalt: Im Buch heißt es: „Ich widmete mich dem Lernen und vielen anderen schwierigen Dingen, die mir fernlagen, nur um mit diesem schrecklichen, strahlenden MädchenSchritt halten zu können. „ Dabei wandelt sich das Kräfteverhältnis der beiden und die Abhängigkeiten voneinander im Lauf der Zeit. Denn Lenu schafft es nach langen Jahren der Paukerei auf die Mittelschule und schließlich aufs Gymnasium. Lila dagegen muss die Schule verlassen, um zu Hause in der Schusterei zu helfen. Dennoch triumphiert Lila am Ende des Romans wieder, denn aus dem mageren Kind ist eine schöne junge Frau geworden, die sich mit 16 Jahren den für dortige Verhältnisse reichen Lebensmittelhändler Stefano angelt und ihn heiratet. Stefano ist nicht der einzige, der sich für Lila interessiert. Auch Marcello, selbstherrlicher Sohn des örtlichen Mafiabosses, wirbt lange und vergeblich um Lila. Lenu wiederum träumt von Nino, dem intellektuellen Sohn des Zugschaffners und Dichters Donato Sarratore. Auf der Hochzeit kommt sie aber mit dem Automechaniker Antonio Cappucio, dem Sohn der verrückten Melina… Die Autorin hat dem Buch eine Übersicht der wichtigsten Charaktere vorangestellt – einprägsame Figuren sind das, Männer und Frauen, alte und junge, alle gefangen in ihrem Viertel und der Tradition und geprägt von der bitteren Armut, der alle entkommen wollen. Gemeinsam ist allen Figuren auch ein extremes Maß an Gewaltbereitschaft. Streitigkeiten werden nicht mit Worten, sondern mit Fäusten, Steinen, Gewehren ausgetragen. Schon Kinder hauen sich gegenseitig Steine an den Kopf, Männer schlagen regelmäßig ihre Frauen und Kinder. „Ich sehne mich nicht nach meiner Kindheit zurück, sie war voller Gewalt. Die Frauen bekämpften sich untereinander noch heftiger als die Männer“ schreibt so auch Lenu an einer Stelle. Sprache und Stil: Bewertung: In Summe ergab das eine 3,4 von 5 möglichen Punkten. Möglicherweise ist es aber auch zu früh, ein 1700-Seiten-Epos nach 422 Seiten abschließend zu bewerten. Das jedenfalls erklärte uns eine Ferrante-Verehrerin aus unserer Gruppe, die bereits 3 Bände auf Englisch gelesen hat und dem Ende des 4. Bandes entgegenfiebert. Wer „Die geniale Freundin“ auf Deutsch weiter lesen will, muss sich jedenfalls noch gedulden. Möglicherweise wird in dieser Zeit auch die Identität der Autorin ganz geklärt. Aktuell wird die Tetralogie einer Übersetzerin mit deutschen Wurzeln zugeschrieben – Anita Raja - die in Neapel aufgewachsen ist und lebt. | ||
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Joost Zwagerman: "Duell“
Rasante, amüsante Novelle über die Welt der Kunst Im Zentrum der Novelle stehen Jelmer Verhooff, erfolgreicher, hipper Direktor des wichtigsten Museums für moderne Kunst in den Niederlanden und ein (fiktives) Gemälde von Mark Rothko, Vertreter des abstrakten Expressionismus. Das Bild "Untitled No. 18", einer der größten Schätze des Hollands Museum, ist verschwunden. Ausgetauscht hat es eine Kopistin, die mit dem Original eine Kunstaktion initiiert. „Ich gebe Rothko den Menschen wieder“, sagt sie. Statt den Diebstahl anzuzeigen, versucht Verhooff zusammen mit seinem schrulligen Restaurator das Bild wieder in den Besitz des Museums zu bringen. In einer rasanten, amüsanten und auch bissigen Story stellt der Autor die Frage nach dem wahren Wert der Kunst und nach ihrem Marktwert. Den Kunstbetrieb und seine Vertreter führt er ad absurdum. Besonderheiten des Buches Im Nachwort des deutschen Übersetzers, Gregor Seferens, erfahren wir zudem mehr über den in den Niederlanden sehr populären Autor, der seit den 90er Jahren Erzählungen und Romane veröffentlicht, zwei Jahre lang auch eine TV-Talkshow moderierte und der sich im September 2015 in seinem Wohnort Haarlem das Leben nahm. Bewertung durch die Hamburger Shortlist Einige fanden die Sprache des Buches an einigen Stellen etwas platt - möglicherweise auch ein Problem der Übersetzung. Mit einem Ergebnis über alle Kriterien hinweg von 4.0 erreicht das niederländische "Duell" jedenfalls unter den Büchern, die wir bisher gemeinsam gelesen haben, eine der höchsten Bewertungen. | ||
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Dietmar Dath: "Leider bin ich tot“
Rätselhafter, schwer lesbarer Roman Zwischen Himmel und Erde, heißt es in Dietmar Daths jüngstem Roman, gehen viele „Sachen“ vor, „von denen der beschränkte menschliche Verstand blutwenig begreift“. Es ereignen sich zum Beispiel Kriege, „die heute noch keiner sieht, obwohl sie schon stattfinden“. Ferner gibt es „natürliche Systeme“, die „etwas empfinden, vielleicht auch denken“. Sie sind „Götter“, möglicherweise aber auch „etwas noch Unbekannteres“. Die handelnden Personen heißen Kain und Abel oder Cerulean (die Himmlische) und Nathalie (Die am Geburtstag des Herrn geborene (dies natalis=der Tag des Geburtstages des Herrn). Allein für das Verständnis der vielen verschiedenen Namen wäre ein Glossar hilfreich gewesen. Die Grenzen zwischen gut und böse verschieben sich in einer Tektonik der Zeitplatten. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind eins. „Etwas wollte geschehen, das sich nicht überblicken ließ“. Bewertung: Worum geht es in dem Buch? Wolfs Werdegang hat ihn ins Pfarramt geführt, doch endet seine Existenz als Berufsgeistlicher, nachdem er eine Rollstuhlfahrerin zu Tode geprügelt hat. Nasrin hat mit der Zeit zu einem strengen muslimischen Glauben gefunden; derzeit beteiligt sie sich an einer unkonventionellen Forschungsarbeit zur Logik des Windes. Allerdings gerät sie als mutmaßlich terrorbereite Islamistin ins Visier des BND. Ihr Bruder Abel hingegen führt einen areligiösen Lebenswandel, er ist Kosmopolit und erfolgreich als Avantgarde-Filmemacher. Seine Karriere hat er maßgeblich seiner ständigen Begleiterin Cyan Cerulean zu verdanken. Cerulean, die weitreichende Kontakte zu Branchengrößen und Mäzenen besitzt, hat jedoch eine eigene Agenda. Dass diese Agenda eine viel größere Dimension besitzt, und sozusagen nicht von dieser Welt ist, erkennt der Leser zunächst, als sich zeigt, dass Cyan mit dem Wind zu kommunizieren vermag. Es wird vollends erkennbar, als sie Abel plötzlich in Gestalt seines eigenen Doppelgängers gegenübertritt und sich ihm als Kain vorstellt. Das fatale Wirken Cyan Ceruleans führt allerdings nicht nur Nasrin, Abel und Wolf zueinander; es greift auch mächtig in Schicksale und Lebenswege aller beteiligten Figuren ein – vorwärts wie rückwärts. Das halbirdische Wesen besitzt nämlich die Fähigkeit, sich und andere nach Belieben innerhalb der Zeit wie von einem Ort zum nächsten zu bewegen. Nach und nach erfolgt im Roman eine Aufdeckung des Beziehungsgeflechts und der Wirkungszusammenhänge, die zwischen den Figuren und Ereignissen bestehen. Und davon gibt es rund um die Protagonisten einige:
Erzählung und Handlungsstränge vollführen Zeitsprünge, auch die Figuren selbst finden sich mitunter in Vergangenheiten wieder. Und so wie die Zeit durchlässig ist, zerfließt auch die erzählte Geschichte in mehrere Stränge. So entrückt Cerulean zum Beispiel irgendwann durch einen Spiegel hindurch in eine Vergangenheit, wo sie stirbt. Die Geschichte verästelt sich in zwei gleich wahre Verläufe – einen, an dem sie beteiligt ist, und einen anderen, bei dem sie leider tot war. Und wenn das Buch schließlich mit derselben Szene endet, die eingangs aus anderer Perspektive beschrieben wird, so weiß der Leser nicht, ob dies ein erklärender Rückgriff darstellt oder ob es vielleicht doch der Beginn eines alternativen Geschichtsverlaufs sein könnte. | ||
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Sascha Reh: "Gegen die Zeit“
Hochinteressantes Thema, distanziert emotionsloser Sprachstil, blasse Figuren Zwischen 1970 und 1973 versucht Präsident Salvador Allende in Chile auf demokratischem Weg einen sozialistischen Staat aufzubauen. Die drei Jahre sind geprägt von der Hoffnung derer, die an eine gerechte Gesellschaft glaubten, und dem Hass derjenigen, die befürchteten, dadurch ihre privilegierte Stellung zu verlieren. Der Versuch endet am 11. September 1973 als Pinochets Militärputsch Allendes Utopie begräbt. Mitten hinein in die dramatischen Stunden dieses Putsches führt uns Sascha Rehs Roman „Gegen die Zeit“. Hans Everding ist ein junger deutscher Industriedesigner, der über ein Austauschprogramm die Möglichkeit erhalten hat, an der Universität in Santiago de Chile jungen Studenten die Grundzüge effektiver industrieller Produktion beizubringen. Everding wird von einem Regierungsvertreter angesprochen und eingeladen, an einem kybernetischen Projekt mitzuarbeiten. Ziel ist es, die gesamte Industrie Chiles miteinander zu vernetzen. Durch die Koordination aller Produktionsmittel und der Auswertung aller Bedürfnisse soll die Mangelwirtschaft beseitigt werden, ohne in die Fehler einer Planwirtschaft zu verfallen. Es soll so weit gehen, dass exakt die Produkte hergestellt werden, von denen die Menschen im Moment der Produktion noch gar nicht wissen, dass sie sie demnächst benötigen werden. Unter Leitung eines profilierten britischen Wissenschaftlers versucht eine junge Gruppe hochmotivierter Wissenschaftler und Techniker, den ehrgeizigen Plan umzusetzen. Gegen alle sich auftürmenden Widerstände der Mangelwirtschaft und fehlender finanzieller und technischer Ressourcen schafft es die Gruppe dennoch, das futuristische Vorhaben zu beginnen und zumindest ansatzweise umzusetzen. Als 1972 der LKW-FahrerInnen-Streik das Land lahmlegt, kann das Projekt CORFO mit seinen aufgebauten Strukturen zumindest die gröbsten Versorgungsnöte lindern. Mit dem aufgebauten Netzwerk koordiniert die Projektgruppe den Transport der Produktion aus den noch arbeitenden Fabriken in die Städte. CORFO kann erste Erfolge verbuchen. Die Handlung des Buches beginnt, als alles zu Ende ist. Hans Everding und sein Kollege Óscar fliehen am Tag des Putsches aus der Schaltzentrale ihres Projekts und versuchen, die Software und die Magnetbänder mit Aufzeichnungen vor den Putschisten in Sicherheit zu bringen. Denn auf den Bändern sind die Namen und Adressen der Allende-Unterstützer verzeichnet. Einen Tag später hat sich der erste Pulverdampf verzogen, alles ist zu Ende. Die Panzer rollen. Was wird aus den Menschen? Wer kann fliehen? Untertauchen? Wer wird verhaftet, gefoltert, gequält, getötet? Wer kooperiert? Ein Kampf um die Bänder beginnt, der mit allen Mitteln ausgefochten wird. Plot & Dramaturgie Stil & Sprache: Bewertung Wer zu dem spannenden Thema mehr nachlesen möchte, der kann dies hier tun. | ||
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Andreas Kollender: "Kolbe“
Spannender Roman über Spion der Nazizeit Fritz Kolbe hat als Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes am Anfang des zweiten Weltkrieges eine Schlüsselfunktion inne, über seinen Tisch laufen streng geheime Dokumente. Eine Kurierfahrt in die Schweiz ermöglicht ihm die Kontaktaufnahme mit den Amerikanern. Er übergibt Ihnen hochbrisantes Material, unter anderem von der Wolfsschanze, die die Amerikaner in die Lage versetzen könnten, Hitler zu töten. Aber nichts passiert, der Krieg geht unvermindert weiter, er zweifelt an seiner Mission, doch seine Freundin Marlene, die ihm alles bedeutet, ermutigt ihn weiterzumachen Stil & Sprache: Plot & Dramaturgie: Bewertung: | ||
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Yiyun Li: "Schöner als die Einsamkeit“
Hanser Verlag 2015, 352 Seiten Yìyún Lǐ wurde 1972 in Peking geboren und emigrierte 1996 in die USA. Ihr Roman „Schöner als die Einsamkeit“ beschreibt das Leben in einer dorfähnlichen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Repression durch den Staat und die Flucht aus diesem Leben durch Emigration in die USA. Inhalt: Über zwanzig Jahre später teilt der in Peking reich gewordene Boyang seinen beiden in die USA ausgewanderten früheren Schulfreundinnen Ruyu und Moran mit, das Shaoai gestorben ist. Aufbau: Stil: Bewertung: Wir konnten uns nicht einigen, unsere Wertungen schwanken zwischen 1,8 und 4,5 von 5 möglichen Punkten. | ||
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Monique Schwitter: "Eins im andern“
Lahme Liebeleien in sprachlich gutem Stil DIE IDEE: „BUNTE“-STORIES Die Ich-Erzählerin scheint um sich herum immer wieder Halt und das Glück zu suchen, zu dem die Männer ihr verhelfen sollen. Sie wirkt sprunghaft, letztlich erfährt der Leser über ihren Charakter aber nur wenig. Die männlichen Figuren sind dafür umso exakter beschrieben und gut voneinander abgrenzbar. Ein roter Faden ist nicht zu erkennen. Lediglich der Tod und der Verfall tauchen immer wieder in verschiedenen Aspekten auf. BEWERTUNG: Die großen Gefühle vermisst nicht nur die Ich-Erzählerin in ihren zwölf Liebesgeschichten, sondern auch die LeserInnen. „Die Liebe sucht man sich nicht aus, sie sucht dich aus“ lautet die Weisheit der Großmutter der Ich-Erzählerin, die immer wieder biografische Züge ihrer Schöpferin widerspiegelt. Das Trostpflaster der LeserInnen: Die Lektüre können wir uns aussuchen. Insgesamt erhielt das Buch knapp 2 Punkte in der Gesamtbewertung. Am besten wurden Stil und Sprache eingeschätzt mit bis zu 4 Punkten in der Einzelnote. | ||
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Maylis de Kerangal: "Die Lebenden reparieren“
Dramatisch, poetisch, sprachgewaltig Um 5.50 klingelt der Wecker von Simon Limbres. Es ist der letzte Tag seines Lebens, denn der 20 jährige Surfer wird sterben – und sein Tod anderen ermöglichen, weiter zu leben. Vorausgesetzt, die Eltern stimmen zu, der Arzt sucht die richtigen Empfänger aus, die Chirurgen geben ihr Bestes. Die Zeitspanne für eine erfolgreiche Organspende ist kurz bemessen. 24 entscheidende Stunden Langgestreckte Sätze Zahlreiche Auszeichnungen Bewertung Allerdings gab es auch kritische Stimmen, die zu dem Buch gerade wegen der vielen Personen, der überbordenden Sprache und des atemlosen Stils keinen Zugang fanden. In Summe erzielte „Die Lebenden reparieren“ dennoch 4 von 5 Punkten und damit die beste Bewertung unseres Literaturclubs in 6 Jahren. | ||
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Harper Lee: "Gehe hin, stelle einen Wächter“
Belangloser Vorgänger von „Wer die Nachtigall stört“ Harper Lee hat bisher nur einen Roman veröffentlicht, doch dieser hat der US-amerikanischen Schriftstellerin Weltruhm eingebracht: "Wer die Nachtigall stört", erschienen 1960 und ein Jahr später mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet, ist mit 40 Millionen verkauften Exemplaren und Übersetzungen in mehr als 40 Sprachen eines der meistgelesenen Bücher weltweit. Handlung: Diese Auseinandersetzung findet allerdings erst auf den letzten Seiten des Buches statt. Bis dahin plätschert die Geschichte vor sich hin. Beschaulich wird die heimatliche Umgebung der Familie Finch beschrieben. Ausführlich, fast schon langatmig wird der Leser über die gesellschaftlichen und moralischen Umstände der damaligen Zeit samt den Problemen einer Jugendlichen in den 50ern informiert. In diese eher schlichte Backfischthematik streut die Autorin zum Ende Einsichten und eine politisch fragwürdige Argumentation des Vaters gegen die Aufhebung der Rassentrennung. Weder der als Höhepunkt gedachte Streit zwischen Tochter und Vater noch die anschließende Versöhnung sind dann wirklich überraschend und überzeugend. Stil und Dramaturgie Bewertung: | ||
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Nadifa Mohamed: "Black Mamba Boy“
Geographisch literarisches Neuland, thematisch hochaktuell Nadifa Mohamed erzählt in Black Mamba Boy das an das Leben ihres Vaters angelehnte Schicksal des somalischen Waisen Jama. Dessen Odysee führt in zwischen 1935 und 1947 durch einen vom Kolonialkrieg gebeutelten afrikanischen Kontinent bis hin nach Europa. Handlung: Jama verpflichtet sich als Söldner bei der italienischen Besatzungsarmee. Nach dem willkürlichen Massaker seines Freundes durch einen italienischen Soldaten flieht Jama vor der Rohheit der Kolonialherren weiter nach Ägypten. Dank der Hilfe eines Mannes aus seinem Klan kann er als Seemann auf einem englischen Schiff heuern und reist bis nach Europa, während seine Frau in Äthiopien auf ihn wartet. Bewertung Aber die Übersetzung samt ihrer überladenen Sprache stieß auf Kritik. Als Debutroman fanden wir dieses Buch dennoch bemerkenswert und das Thema der Flucht sehr aktuell. | ||
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Amos Oz: "Judas“
Konstruierte Konflikte in handlungsarmen Buch Die Geschichte Wald lebt mit der 45-jährigen Atalya, seiner Schwiegertochter zusammen, die den jungen Schmuel sofort in ihren Bann zieht. Schmuel arbeitet während seines Aufenthaltes weiter an seiner Examensarbeit, die sich mit Person des Judas befasst, der sich von einem Spitzel zu einem glühenden Verehrer von Jesus wandelt. Als der alte Mann erkrankt, pflegt Schmuel ihn und erfährt, wie Micha, der Sohn des alten Wald, ums Leben kam. Stil & Sprache Plot & Dramaturgie Bewertung | ||
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Ludwig Winder: "Der Thronfolger“
Altertümliches, interessantes Psychogramm eines Unsympathen Ludwig Winder beschreibt die letzten Jahre der k.u.k. Monarchie. Im Zentrum der Erzählung steht das Leben des letzten Thronfolgers Franz Ferdinand. Menschenscheu und -verachtend und mit grimmiger Willensstärke drängt es Franz Ferdinand zur Macht. Er wälzt Staatspläne, sucht seltsame Koalitionen, wird von Ehrgeiz gequält und wird doch vom Kaiser Franz Joseph in keine wichtigen Staatsangelegenheiten einbezogen. Ruhe findet Franz Ferdinand nur neben seiner vom Hofe als nicht standesgemäß angesehenen Gattin und bei dem manischen Ausleben seiner Schießwut. Als der Thronfolger in Sarajevo ermordet wird, ist er von seinen lang gehegten Staatspläne schon wieder abgerückt und von seiner Mission selbst nicht mehr überzeugt. Der Roman von Ludwig Winder erschien bereits 1937 in der Schweiz. Der jüdische Autor durfte in Deutschland nicht publizieren; in Österreich wurde der Roman ob des Gesetzes „Zum Schutz des Österreichischen Ansehens“ verboten. 2014 wurde das Buch wieder neu aufgelegt und von den Feuilletons als literarische Kunstwerk gefeiert, in dem ein zugleich abstoßender und doch bemitleidenswerter Tyrann historisch exakt, psychologisch differenziert und menschlich gerecht dargestellt wird. In unserem Lesekreis wurde die Meinung der Feuilletons bedingt geteilt. Insgesamt lasen wir das Buch mit Interesse und fanden, trotz bekanntem Ende, das Buch doch spannend und überraschend aktuell. Letztendlich störten wir uns etwas an dem eher altertümlichen und schlichten Sprachstil. Der Perspektivwechsel im letzten Teil des Buches hin zu den Innenansichten der Attentäter wurde von einigen Lesern als störend empfunden, und den meisten von uns wurden die 576 Seiten über die letzten Jahre der k.u.k Monarchie etwas arg lang. In Summe wurde das Buch bei uns mit einer 3,3 bewertet. Und wie so häufig ist dieses eher indifferente Ergebnis nur der mittige Durchschnitt vieler Meinungen. Der Großteil von uns war jedenfalls angetan von dem Psychogramm des Unsympathen. | ||
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Patrick Modiano: "Gräser der Nacht“
blass, handlungsarm, langweilig Patrick Modiano erhielt 2014 den Literaturnobelpreis nachdem er bereits div. andere renommierte Preise (Großer Romanpreis der Académie Française, Prix Goncourt) gewonnen hat. Die Übersetzung von „Gräser der Nacht“ ist zudem für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Inhalt: Stil: Es gibt Kritiker, die behaupten, Modiano schreibe „immer dasselbe Buch“. Für die meisten Mitglieder der Shortlist wird es so oder so bei diesem einen bleiben. Mit 1,5 von 5 Punkten erhält „Gräser der Nacht“ eine der schlechtesten Bewertungen unserer Shortlist. | ||
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Carl Nixon: "Settlers Creek“
Spannender Zweikampf um den toten Sohn Ein jugendlicher Toter wird gefunden. Die Mutter des Jungen ruft Ihren Mann, der in einer anderen Stadt auf eine Baustelle jobbt, sofort an. Box, so heißt der Neuseeländer, setzt sich sofort ins Flugzeug. Es folgen Rückblenden über das bessere Leben der Familie vor der Wirtschaftskrise. Box war gut situierter Bauunternehmer, der es sich leisten konnte, seine Kinder auf teure Privatschulen zu schicken; heutzutage arbeitet er nur als Handlanger am Bau und die Familie kommt gerade so durch. Mark, der Junge, der offensichtlich Selbstmord begangen hat, ist der Sohn des ersten Mannes seiner Frau, eines Maoris. Dieser leibliche Vater, Tipene, kommt mit einem großen Troß von Maoris, um zu trauern. Box ist verärgert, weil Tipene sich in der Vergangenheit nie um seinen Sohn gekümmert hat. Die Geschichte erreicht einen Höhepunkt, als die Leiche von Mark kurz vor der Beerdigung auf dem alten Siedlerfriedhof von den Maoris gestohlen wird. Mark macht sich auf den Weg, um die sterblichen Überreste seines Sohnes zurückzuholen. Stil & Sprache Plot & Dramaturgie Bewertung | ||
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David Peace: "GB84“
Schwierige Lektüre, sehr eigenwillig, fragmentierte Sprache und Handlung Was für ein vielversprechendes Thema: Der Autor David Peace arbeitet den britischen Bergarbeiterstreiks von 1984-85 auf. Margaret Thatcher geht mit aller Vehemenz gegen die Gewerkschaften vor. Nach einem Jahr hartem Streik sind die Gewerkschaften am Boden zerstört, eine politische Wende ist eingeleitet worden. In die Aufarbeitung dieser britischen Geschichte verwoben ist eine Kriminalhandlung, die Spannung verspricht. Und nicht zuletzt ist der Autor mit Preisen dekoriert und das Buch in den Feuilletons hoch gelobt. Wir haben uns viel versprochen von dem Buch - es wurde uns nicht eingelöst. Aufbau und Struktur In diesen kompositorischen Rahmen wollte der Autor das widerspiegeln, was seiner Meinung nach den Bergarbeiterstreik kennzeichnete: chaotische Strukturen, unklare Machtverhältnisse, ein Umfeld von Bedrohung, Machtmissbrauch, Korruption und die Unfähigkeit und den Unwillen aller beteiligten Parteien zu einer einvernehmlichen Kommunikation oder gar einem Kompromiss zu kommen. Dieses Durcheinander zu dechiffrieren ist aber in Deutschland, 30 Jahre nachdem der Streik in Britannien zu Ende gegangen ist, nicht mehr möglich. Zwei Beispiele mögen das veranschaulichen:
Stil und Sprache Nach eigener Aussage hätte Peace zudem gerne noch mehr Altenglisch, lateinische und französische Wörter eingestreut, um die Referenz auf den Normannen William the Conqueror (Wilhelm den Eroberer) zu ziehen, der 1066 England eroberte. In der Tradition von William, der damals England und Yorkshire überrannte und in den folgenden Jahren lokale Aufstände blutig unterdrückte, sieht der Autor das Vorgehen von Thatcher gegen die streikenden Bergarbeiter. (1) Und schließlich kommt in diese Mischung von angedeuteten Namen und Handlungen, geschrieben in einer höchst eigenwilligen Stakkato-Sprache noch der erklärte Willen des Autoren, das Chaos des Streiks und die unklaren Machtverhältnisse dieser Zeit in seinem Roman genauso abzubilden. Das heißt es gibt auch in dem fiktiven Krimi-Geschehen keine eindeutige Struktur. Jeder betrügt jeden, wer von wem welchen Auftrag bekommt, bleibt willentlich im Unklaren. Nur durch indirektes Schlussfolgern wird klar, welche Motive bei welchem Protagonisten zu welchen Handlungen führt. Bewertung David Peace weiß, wie schwierig er schreibt. Sein kommerzieller Erfolg verwundert ihn selber. Er geht sogar davon aus, dass viele seiner Bücher nur aufgrund der guten Kritiken gekauft werden, von Lesern, die nicht wissen worauf sie sich einlassen. Leser, die dann nach den Erstseiten-Schock das Buch für immer zur Seite legen. (2) Und genauso erging es uns. Niemand von uns kam über ein Drittel des Buches hinaus. Unsere These: Nur sehr wenige Leser werden in Deutschland das Buch und den Krimi genießen können. Referenzen und Sekundärliteratur zu GB84 (1) "I particularly wanted to excise as much Latin and French derived words from the text as possible. This relates to the idea of the North, and of Yorkshire in particular, being a separate country within a country. Thatcher's treatment of the miners, for me, echoed William the Conqueror's 'Harrowing of the North' - when Norman troops killed every male in Yorkshire and salted the earth - following his victory at Hastings" (2) Sehr interessantes Interview mit David Peace bei Spiegel Online (3) "The Third English Civil War: David Peace's "Occult History" of Thatcherism" von Matthew Hart (4) “A Scar Across the Country”: Representations of the Miners’ Strike | ||
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Hilary Mantel: "Die Ermordung Margaret Thatchers“
Zynisch, bösartig, sprachlich perfekt Inhalt: Offenkundig sind autobiografischen Erfahrungen und Erlebnisse der Autorin in die Geschichten mit eingeflossen. Heute zählt Hilary Mantel zu den Stars der britischen Literatur. Für ihre historischen Romane „Wölfe“ und „Falken“ über die Tudorzeit im England des beginnenden 16. Jahrhunderts wurde sie 2009 und 2012 gleich zweimal mit dem britischen Booker Prize ausgezeichnet und von der Queen geadelt. Doch Hilary Mantels Kindheit und ihr Start als Schriftstellerin waren bitter. Die Kritik erinnert an frühere Jahre, in denen sie als zunächst wenig erfolgreiche Autorin über die Dörfer tingelte. Mit ihrem Mann verbrachte sie vier Jahre im saudi-arabischen Dschidda. Und sie lebte 1983 in Windsor, mit Blick auf das Krankenhaus, in dem sich die damalige Premierministerin Margaret Thatcher einer Augenoperation unterzog. Sprache & Stil: Dabei gelingt es ihr in jeder Geschichte, mit wenigen treffenden Worten Situationen und Personen zu charakterisieren und den Leser einzufangen. Sie benutzt ungewöhnliche Bilder, arbeitet mit Anspielungen und zielsicher gesetzten Schock-Effekten. Die Ereignisse sind tragisch, komisch, niemals gemütlich. Und schon die ersten Sätze der Geschichten ziehen den Leser in den Bann: „Er war 45, als seine Ehe an einem langen Herbsttag, dem letzten mit Grillwetter, definitiv endete“ oder: „Stellen Sie sich zuerst die Straße vor, in der sie ihren letzten Atemzug nahm“. Dramaturgie & Spannung: Bewertung: Soviel Konsens war selten – und als Ergebnis mit 3,2 Punkten auch eine klassische Durchschnittsnote – von 5 möglichen Punkten. | ||
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Jhumpa Lahiri: "Das Tiefland“
Interessanter, gut zu lesender Familienroman Inhalt: Bewertung: | ||
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Yasmina Reza: "Glücklich die Glücklichen“
Episodenroman über Paare und ihre Probleme Das Buch beginnt mit einer Episode der Toscanos, Odile und Robert, die in der Mitte eines Netzwerkes stehen. Sie streiten sich über den „falschen Kauf“ einer Käsesorte, die Situation eskaliert und entlädt sich schließlich in einem Ringkampf um die Autoschlüssel. Im Laufe des Buches erweitert sich der Kreis der Handelnden, Hauptfiguren der einen Episode sind Nebenfiguren in der nächsten ... Stil & Sprache: Plot & Dramaturgie: Spätestens ab der Mitte des Buches geht der Überblick über die Figuren verloren und damit auch das Interesse an den immer wieder neuen Konstellationen und Tiefschlägen. Bewertung: | ||
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Margriet de Moor: "Melodie d'amour“
Gut konstruiertes, aber eher schwaches altbackenes Alterswerk Handlung:
Stil und Aufbau: Es wird im Buch nicht geurteilt oder bewertet. Die Freiräume in den Beschreibungen sollen die Leser selber füllen. Eine Identifikation mit den Protagonisten ist damit aufgrund der fehlenden Perspektiven schwierig. Denn die vier Kapitel sind aus unserer Sicht zu wenig miteinander verwoben. Die vier Strophen der Melodie d'Amour empfinden wir als mehr oder weniger unabhängige Teile, die als eigene Bücher stehen könnten. Bewertung: Und eine eher altbackene Weltanschauung, in der die Frauen und Geliebten zu Hause dem Wohle des Mannes verpflichtet sind, scheint uns etwas aus der Zeit gefallen zu sein. In unserem Leserkreis wurden dem Buch mehrheitlich schwache zwei Punkte vergeben. Mit der Unterstützung der Margriet de Moor-Fans ist das Buch aber letztendlich in unserem Leserkreis mit 3,0 Punkten bewertet worden. | ||
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Chimamanda Ngozi Adichie: "Americanah“
608 Seiten, S.Fischer 2014 Dieses Buch handelt von der Entwicklung der jungen Nigerianerin Ifemelu, die alleine nach Amerika geht und dort nach anfänglichem Scheitern aufgrund ihrer Intelligenz und Schönheit den ersehnten Erfolg hat. Ihrer großen Liebe Obinze gelingt es nicht wie verabredet nachzukommen. Stattdessen hat Obinze einen eigenen Erfolg im wirtschaftlich erstarkenden Nigeria. Am Ende entschließt sich Ifemelu doch nach Nigeria zurückzukehren und wird dort eine „Americanah“, eine Nigerianerin, die in den USA gelebt hat. Das Buch schildert sehr authentisch das Aufeinandertreffen zwischen der nigerianischen und amerikanischen Kultur. Die Identifikationsängste, die Erwartungen und die vielen Unterschiede werden sehr genau dargestellt. Die Sprache bleibt hinter dem packenden und mitreißendem Inhalt etwas zurück. Dennoch ein sehr lesenswertes Epos. | ||
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Michael Chabon: "Telegraph Avenue“
Sprachverliebt, ausufernd, detailverliebt Handlung: In unmittelbarer Nähe zum Plattenladen will der schwerreiche Gibson Goode demnächst einen großen MultimediaStore eröffnen . Mit seiner gut sortierter Second-Hand-Abteilung wird der neu Megastore mit ziemlicher Sicherheit das Aus für den Plattenladen bedeuten. Die beiden Ehefrauen der Plattenladenbesitzer, Gwen und Aviva, sind selbständige Hebammen und ebenfalls in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Eine Hausgeburt endet unter Komplikationen im Krankenhaus und der Kindsvater droht mit Klage. Mitten in dieses Chaos tritt Titus auf, der (sozial etwas sperrige) uneheliche Sohn von Archie. Mit 14 Jahren steht er nun zum ersten Mal vor der Tür seines Vaters. Und dann ist da noch Luther Stallings, der Vater von Archie, ein ehemaliger Kung-Fu-Action-Darsteller, Kampfsportler und Ex-Junkie. Auch er spielt eine Rolle, aber nicht jene, die er sich erträumt, nämlich das späte Comeback in einer Fortsetzung seiner jahrzehntealten Erfolgsfilme. Dramaturgie und Stil Und ab dem zweiten Kapitel ist der Weg das Ziel. Nicht die Auflösung der vielen Dilemmata der Protagonisten steht im Vordergrund der Romanhandlung. Viel wichtiger sind dem Autor liebevolle Abhandlungen über Jazz, detailreiche Beschreibung einzelner Handlungsszenen oder wortreiche Ausführungen zu Kleidungsstücken. Keine Frage, der Roman ist sprachverliebt. Und wer auf derselben Wellenlänge liest wie der Autor mit seinem Sprachgefühl schreibt, wird den Roman sehr gerne lesen. Für einen Großteil der Feuilletonisten und Literaturkritiker trifft das zu. Der Roman wird ausgesprochen positiv rezensiert, Kritiker im In- und Ausland loben Telegraph Avenue aufs höchste. Bewertung | ||
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Daniel Galera: "Flut“
Harte Männer am Meer, karge Sprache, spannender Plot Suhrkamp Verlag 2013, 425 Seiten Seine große Liebe hat ihn verlassen, sein Vater hat sich wie angekündigt umgebracht. Vor diesem Hintergrund zieht der Schwimmer und Fitnesstrainer, der im Roman namenslos bleibt, in den brasilianischen Badeort Garopaba, um den angeblich gewaltsamen Tod seines Großvaters aufzuklären. In Garopaba lernt die Hauptfigur in der Nebensaison verschieden Frauen und harte Männer kennen, kann und will aber seiner Einsamkeit nicht entkommen. Eine zentrale Rolle in diesem Leben und in Galeras Buch spielt das Meer und seine Ambivalenz. Denn das Meer bietet einen weiten Horizont und Ausweg, aber das Meer macht die Menschen auch zu einem "Gefangenen des Landes". Ein Männerroman? Das fand ein Teil unserer Gruppe und langweilte sich auch zwischendrin mit der eher schlicht gestrickten ewig Sport treibenden Hauptfigur. Der überwiegende Teil schätzte das Buch dagegen als moderne Auseinandersetzung mit dem Brasilien von heute und würde es weiterempfehlen: spannend zu lesen durch seinen Krimiplot, und vor allem im Winter anregend, da das Buch auf faszinierende und ambivalente Weise von Sonne und Meer spricht und in der Auflösung des Rätsels um den Großvater schockiert. In der Gesamtnote schaffte das Buch eine 3,6 von 5 möglichen Punkten - bei einer Bandbreite von 0 (totalem Flop) bis zu 5 (absolute Begeisterung) | ||
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Elizabeth Strout: "Das Leben natürlich“
Lesenswert, interessant, pointiert Die Geschichte: Das Buch beginnt mit einem Paukenschlag. Shirley Falls hängt am Tropf, hohe Arbeitslosigkeit, es gib keine Jobs, ein kleine, mutlose Stadt in Maine. Im Gegensatz zu New York, das lebendige, farbige Kaladeioskop Amerikas. Die Mutter des Jungen Susan, eine geborene Burgess ruft ihre Brüder zur Hilfe, beide Anwälte in New York. Jim, der ältere, Harvard Absolvent, eine bekannte Größe nach der Verteidigung von Wally Pecker, befindet sich gerade im Urlaub mit seiner Frau Helen, die ihm drei Kinder geboren hat. Sie bringt das Geld in die Ehe und hält die Familie zusammen. Jim schickt seinen Bruder Bob nach Maine, um sich des Falles anzunehmen. Bob arbeitet als Rechtshelfer am Berufungsgericht, ist geschieden, und wohnt sehr bescheiden. Er trinkt und raucht viel und trifft sich regelmässig mit seiner Ex Frau Pam. Er wird gern von seinem Bruder als Loser gehänselt und hat einen Schuldkomplex, weil er glaubt, seinen Vater getötet zu haben. Doch davon später. Zach wird auf Kaution freigelassen, aber der Fall wird nicht, wie erwartet, wegen Geringfügigkeit fallen gelassen. Demonstrationen sind angekündigt und die Burgess Brüder beschließen widerwillig, nach Shirley Falls zu fahren, um Flagge zu zeigen. Jim hält eine viel beachtete Rede, er ist ein mitreißender Rhetoriker, hält sich aber nicht an die Gepflogenheiten des engstirnigen Maine und verlässt die Szene, bevor der Gouverneur gesprochen hatte. Ein Faux Pas, wie sich später herausstellt. Wieder zurück in New York versucht Jim und seine Verbindungen auszuspielen, indem er Anklage (District Attorney) und Richter zu beeinflussen sucht... Stil und Sprache: Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Strout beschreibt den Konflikt zwischen Stadt (New York) und Land (Maine) bildhaft, kratzt aber leider öfters nur an der Oberfläche der Probleme. Plot & Dramaturgie: Das Potential des Plots, ein Familiengeheimnis, Fremdenfeindlichkeit, Perspektivlosigkeit der Jugend wird leider nicht genutzt. Die Geschichte plätschert so dahin, die Charaktere werden nicht in der Tiefe ausgeleuchtet. Bewertung: Die Jury war gespalten bei der Bewertung des Buches, die Mehrheit hat es gern gelesen, einige wenige nicht. Trotz verpasster Chancen fanden die Leser die angesprochenen Themen sehr interessant Das Gesamtergebnis lag daher im Schnitt bei 3,1 Punkten, von 5 möglichen Punkten. | ||
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Terézia Mora: "Das Ungeheuer“
Fordernd, tragisch, preiswürdig Inhalt Stil & Sprache Dramaturgie Themen Bewertung Bei aller Relevanz, die den Themen zugestanden werden mag, und allem Respekt vor der neuartigen formalen Umsetzung dieser Themen, bleibt die mangelhafte Lesbarkeit des Romans geradezu "ungeheuerlich". Die Auszeichnung mit dem deutschen Buchpreis 2013 stimmte deshalb einige unter uns - die wir uns nicht auf bequeme Literatur beschränkte Leser halten - nachdenklich. | ||
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Uwe Timm: "Vogelweide“
eine bildungslastige Amour Fou, etwas blass Themen Inhalt Stil & Sprache Bewertung | ||
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Leon de Winter: "Ein gutes Herz“
Diogenes Verlag 2013, 512 Seiten Spannend, gesellschaftskritisch, phantasievoll Der Autor Die Handlung Theo van Gogh behält auch nach seinem Tod die tragende Rolle der Geschichte. Um in den Himmel zu kommen, muss er sich erst nämlich erst einmal als Schutzengel bewähren. Angeleitet wird er dabei von Mentor Jimmy, einen gutmütigen Franziskanermönch, der es mit der sexuellen Enthaltsamkeit in seinem Leben nicht so genau genommen hat. Jimmys Herz ist auf der Erde geblieben – und schlägt nun in der Brust des charismatischen Max Kohn. Das Leben des früheren Kriminellen Max Kohn dreht sich vor allem um den Versuch, seine in Amsterdam lebende verlorene Liebe Sonja und seinen Sohn Nathan wiederzugewinnen. Doch die Terroranschläge rund um den jungen, islamistischen Migranten Sallie, der in mehrere Terroraktionen verwickelt ist, bringen für alle Beteiligten zahlreiche Komplikationen mit sich. Schließlich spielen auch niederländische Politiker ihre Rollen bei der Bewältigung der Terrorkrise, wie Geert Wilders und der Bürgermeister von Amsterdam,Cohen - allesamt reale Figuren der Amsterdamer Politik. Und noch eine weitere reale Figur gibt es in diesem Buch – einen Autor Leon de Winter, der ebenfalls auf Sonjas Liebe hofft. Plot & Dramaturgie Stil & Sprache Bewertung | ||
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Ned Beauman: "Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beförderung eines Menschen von Ort zu Ort“
Schwarzhumorig, originell, Booker-Prize-Longlist Die Story: Egon Loeser ist Bühnenbildner in Berlin, wo er eine Vorrichtung zur "augenblicklichen Beförderungen eines Menschen von Ort zu Ort" erfunden hat, deren Einsatz jedoch mit Verletzten endet. Weit stärker als sein Job treibt ihn jedoch die Frage um, wie er es erreichen kann, Adele Hitler („nicht verwandt und nicht verschwägert“) ins Bett zu bekommen, denn dort ist es seit der Trennung von seiner letzten Freundin recht einsam. Auf der Suche nach Adele kommt Egon über Paris nach Los Angeles, wo er überall Freunde und Bekannte trifft, die vor den Nazis fliehen mussten, was ihn jedoch völlig unberührt lässt. Nachrichten liest er nicht, die deprimieren ihn nur. So nimmt er z.B. an der Bücherverbrennung der Nazis am 10.03.1933 teil, ohne die Bedeutung auch nur ansatzweise zu realisieren. In Ausschnitten von 1931 bis 1962 erzählt der Roman das Leben eines Egozentrikers an der Grenze zum Unsympathen, dessen Leben zwar durch die Weltgeschichte massiv beeinflusst wird, diese selbst jedoch nur bezogen auf sein eigenes Leben wahrnimmt und so von einer grotesken und peinlichen Situation zur nächsten stolpert – und weiterhin keine Frau in sein Bett bekommt. Stil & Sprache: Weil aber alle wichtigen Themen des Lebens berührt werden, stimmt der Roman trotzdem nachdenklich. Besonders positiv fiel uns auf, dass eine große Anzahl an Handlungsfäden begonnen, jeder davon aber später - meist unerwartet – wieder aufgenommen und zu einem überraschenden Ende geführt wird. Die Bewertung: | ||
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Juli Zeh: "Nullzeit“
Leichthändig erzähltes Kammerspiel Die Geschichte: Jola, Schauspielerin ohne Durchbruch, und Theo, 42, Schriftsteller mit Schreibblockade, sind ein Pärchen mit Konfliktpotential. Sie bekämpfen sich unentwegt, erniedrigen sich, stellen sich bloß. Während der Tauchgänge entwickelt sich ein Flirt zwischen Sven und der von Selbstzweifeln geplagten Daily-Soap-Darstellerin Jola. Das will Theo nicht hinnehmen. Beim Tauchgang zu einem Wrack, den Sven sich zum 40. Geburtstag schenkt, eskaliert der Konflikt. Stil, Sprache, Plot: Tatsächlich bekommt der Leser hier zu wenig Psycho und zu wenig Thriller. Stattdessen findet er sich in einem Kammerspiel wieder: Ein kleiner Personenkreis verhandelt einen Problemkern, und alle involvierten Personen erfahren den Konflikt am eigenen Leib – ein Schauspiel in intimen Rahmen. Hintergründe: Gesamtbewertung: | ||
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Taiye Selasi: "Diese Dinge geschehen nicht einfach so“
Kraftvolle, prosaische Familiengeschichte Der Roman erzählt die Geschichte der Familie Sai, einer Familie mit afrikanischen Wurzeln, die in Boston lebt, bis dem Vater, einem erfolgreichen Chirurgen, ein Kunstfehler zur Last gelegt wird. Daraufhin verläßt er nach 20 Ehejahren seine Frau und die vier Kinder und kehrt nach Ghana zurück. Die Familie zerbricht daran. Die Geschichte des Buches beginnt 16 Jahre später mit dem Tod des Vaters, der plötzlich an einem Herzinfarkt stirbt. Die Familie, die bis dahin überall verstreut war und jeder auf der Suche nach seinem persönlichen Lebensinhalt, nähert sich durch den Tod des Vaters wieder an. Im Haus der Mutter in Ghana, in das sie zurückgekehrt ist, treffen sich alle, um Abschied zu nehmen. Stil/Sprache: Taiye Selasi prägte den Begriff "Afropolitan" und beschreibt damit jene jüngste Generation afrikanischer und kosmopolitischer Emigranten, die auf die Frage nach ihrer Herkunft keine einfache Antwort kennt. Die in dem Roman beschriebenen Charaktere bringen die Suche nach dem persönlichen Glück glaubhaft nahe. Plot/Dramaturgie: Gesamtbewertung: | ||
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Richard Ford: "Kanada“
Langweilig, uninteressant, unglaubwürdig. Wir wissen nicht, was die Kritiker bewogen hat, dieses Buch in den höchsten Tönen zu loben. Warum sie gebannt der Handlung folgen, einen Spannungsbogen sehen, plastische Figurenbeschreibungen erkannt haben und schöne Sätze mit ausdrucksstarken Bildern. Die Meinung unseres Literaturkreises weicht hiervon grundlegend ab und zwar nicht nur vereinzelt, sondern unisono bei praktisch allen Gruppenmitgliedern: Kanada erhält mit 1,5 Punkten von 5 möglichen eine der schlechtesten Bewertungen, die wir in dieser Gruppe seit 3 Jahren und 36 Buchkritiken vergeben haben. Der Inhalt: Liest man das Buch, das aus der Sicht des 60jährigen Ich-Erzählers geschrieben ist, findet sich weder Dramatik noch Katastrophe. Stattdessen serviert der Autor lediglich über und über Details, die weder zur Handlung noch zum Verständnis der Personen beitragen, und wird im zweiten Teil zudem völlig unglaubwürdig, wenn er das Personal des Jagdhotels samt seiner Vergangenheit vorstellt. Sprache: Die Erzählkonstruktion ist ermüdend und ärgerlich. 150 Seiten lang warnt der Autor immer wieder, dass und was die Eltern Unvorstellbares tun werden. Um dann im zweiten Teil 150 Seiten lang zu warnen, dass es in Kanada ein ganz schlimmes Ende nehmen wird. In beiden Fällen wird das tatsächliche Ereignis der künstlich aufgebauschten Spannung nicht im Ansatz gerecht. Novelle hätte genügt | ||
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Jenny Erpenbeck: "Aller Tage Abend“
Roman über viele Leben Die Geschichte: Das halbjüdische Mädchen wächst in Wien zusammen mit der (in diesem was-wäre-wenn-Ansatz) intakten Familie auf. Sie verliebt sich unglücklich - und bringt sich um. Und wieder fragt Erpenbeck: Was wäre gewesen, wenn das Mädchen überlebt hätte? Die (nun) junge Frau flieht als aktive Kommunistin vor den Nazis aus Österreich nach Moskau - und wird von den Sowjets hingerichtet. Aber vielleicht ist sie ja doch am Leben geblieben..... Stil & Sprache: Plot & Dramaturgie: Bewertung: | ||
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Stephan Thome: "Grenzgang“
Die Geschichte Thome schildert das Leben in einer hessischen Kleinstadt. Nicht chronologisch, sondern immer nur das, was sich an jeweils drei Tagen des „Grenzgang“- Festes, einem alle sieben Jahre stattfindenden Volksfest, ereignet. Insgesamt achtundzwanzig Jahre umspannt der Roman, er begleitet das Leben seiner beiden Haupt-Charaktere von 1985 bis 2013. Was sich in den Jahren dazwischen ereignet, erfahren wir durch die Erinnerungen der beiden Protagonisten. Unsere Bewertung: Unisono gefällt uns die Beschreibung und Entwicklung der beiden Haupt-Charaktere, besonders der Frau. Es ist beeindruckend, wie beide es schaffen, sich aus ihren alten Lebensentwürfen zu befreien und einen neuen Lebensabschnitt zu wagen. Auch wenn das kleinstädtische Umfeld bestehen bleibt. Wobei Thome ab und zu auch einfach den Zufall Regie spielen läßt – wie etwa, wenn die demente Mutter der Erzählerin stirbt und sie es so endlich schafft, sich aus der erdrückenden Enge des alten Hauses zu befreien und eine neue Liebe zu leben. Oder wenn sich beide voller Entsetzen in einem Provinz-Swingerclub begegnen – wunderbar beschrieben und für beide tatsächlich der Katalysator, um endgültig zueinander zu finden. Und so ist Grenzgang auch ein Buch über persönliche Grenzen, die jeder der Charaktere irgendwann überschreitet, überschreiten muss, um zum Glück zu finden. Die Schwächen des Buches: Die Beschreibung der drei Volksfeste ist zu detailliert und zu lang. Hier hätte Thome kürzen können. Auch die Sprache begeistert nicht durchweg. Fazit: "Grenzgang" ist ein Debüt mit einigen Tiefen und sehr vielen Höhen. Bei einer Skala von 1 bis 5 reicht die Bewertung innerhalb der Gruppe von der Höchstpunktzahl (5 = sehr gut) bis zu befriedigend( =3). Fest steht aber: In keinem Fall ist "Grenzgang" ein Roman über das Scheitern, wie es uns die Literatur-Kritik glauben lassen möchte, sondern ein Buch über die zweite Chance, die das Leben bieten kann. Würden wir dieses Buch empfehlen? Wir sagen Ja unter den vorab beschriebenen Einschränkungen. Und: Wir würden gerne mehr von Thome lesen. | ||
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Ursula Krechel: "Landgericht“
Aufrührend, sperrig, authentisch - Deutscher Buchpreis 2012 Geschichte Kornitzer wird eine Stelle als Richter am Landgericht Mainz angeboten, dort stürzt er sich zum einen in seine Arbeit, zum anderen in die Auseinandersetzung mit den bundesrepublikanischen Behörden um sogenannte „Wiedergutmachung“. Dabei verzweifelt er zum einen an einer auf Abwehr gepolten Bürokratie, zum anderen an seiner eigenen Unerbittlichkeit. Stil & Sprache Themen des Buches „Landgericht“ behandelt, wie bereits im Titel angedeutet, zum einem den Umgang der Justiz mit ihren während der NS-Zeit ausgeschlossenen und verfolgten und zurückgekehrten Mitgliedern, wobei die Justiz sicher exemplarisch für einen großen Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft stehen kann. Daneben geht es um das „Gericht“, das der zurückgekehrte Kornitzer über sein Land hält und an dem er aufgrund seiner Hartnäckigkeit verzweifelt. Ob er dabei die Verhältnismäßigkeit verliert oder ob seine Verbitterung verständlich ist, wurde von uns sehr kontrovers diskutiert. Bewertung „Landgericht“ wurde von uns mit einer Ausnahme sehr gut bewertet, ein Mitglied vergab 5 von 5 möglichen Punkten; unsere Durchschnittsnote ist eine 4,3. | ||
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Stephan Thome: "Fliehkräfte“
Suhrkamp Verlag, 2012, 474 Seiten Die Geschichte: Seine Ehefrau Maria ist vor zwei Jahren von Bonn nach Berlin gezogen. Er leidet unter der Trennung: eine Wochenendbeziehung ist nicht das, was er unter seiner Ehe vorgestellt hat. Eventuell kann er in Berlin eine neue Stelle bei einem kleinen Verlag aufnehmen. Zwar ist Professor Hainbach mit seiner Arbeit in Bonn zutiefst unzufrieden - aber für die sich öffnende berufliche Chance in Berlin müsste er seine Professur nebst Rentenansprüchen aufgeben. Will er das? Der Anspruch: Unsere Bewertung: Hartmut Hainbach bei seiner Lebenskrise zuzuschauen ist nur bedingt fesselnd. Es fehlt an Dramaturgie und Spannung, der Held des Buches ist wenig sympathisch. In Summe vergaben wir in unserem Lesekreis indifferente 2,5 Punkte (von möglichen 5), in denen sich der Eindruck eines etwas vor sich hin dümpelnden, wenn auch schön geschriebenen Buches widerspiegelt. | ||
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Clemens J. Setz: "Indigo“
Experimentell, spannend, gruselig Inhalt Fünfzehn Jahre später (2021) berichten die Zeitungen von einem aufsehenerregenden Strafprozess: Ein ehemaliger Mathematiklehrer wird vom Vorwurf freigesprochen, einen Tierquäler brutal ermordet zu haben. Doch der Vorwurf klebt, ebenso wie der des Alkoholismus, weiter an Setz. Die Geschichte eines seiner ehemaligen Schüler, Robert Tätzel, ist mit der Recherche des Lehrers in Sachen der Indigokinder verflochten, wobei der Erzählstrang über den Lehrer sich zeitlich auf den des 2021 erwachsen gewordenen, „ausgebrannten“ Indigos Robert zubewegt. Beide treffen sich am Ende, dessen Tragik in der Kommunikationsbarriere besteht: Der Lehrer ist 2021 zu verrückt für das Gespräch geworden, das der Schüler 2007 wegen des Indigosyndroms noch nicht mit ihm führen konnte. Stil & Sprache Dramaturgie & Plot Themen des Buches Die Bewertung | ||
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Vea Kaiser: "Blasmusik Pop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam“
Lektüre lohnt nicht Die Geschichte: Gegen Engstirnigkeit und unreflektierten Traditionssinn hegt der Arzt genauso, wie sein Enkel gleichen Namens eine tiefe Abneigung. Als Johannes aus Starrköpfigkeit durch das Abi rasselt, beginnt er sich mit seinem Dorf auseinanderzusetzen. Er orientiert sich an seinem Vorbild Herodot, der auch zu Beginn eines jeden Kapitels zitiert wird. Er verstrickt sich in seine erste Liebesgeschichte und initiert unfreiwillig ein sportliches Großereignis…. Stil & Sprache: Plot & Dramaturgie: Bewertung: | ||
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Germán Kratochwil: "Scherbengericht“
thematisch vielversprechender, authentischer Familienroman Die Geschichte Die Gästeschar könnte unterschiedlicher nicht sein und doch vereint sie die gemeinsame Vergangenheit der Auswanderung und Emigration aus einem aus den Fugen geratenen Europas: So reicht die Geschichte der Jubilarin Clementine, ihres Sohn Martin, der Enkel Katha und Gabriel und der anderen Gäste von dem Wien der Kaiserzeit über die Nazijahre hin zum Familienexil in Patagonien. In der kargen Landschaft Patagoniens sehen sich die Gäste nicht bloß mit ungelösten Familienproblemen, sondern auch mit den Geistern der jüngsten Vergangenheit konfrontiert. Stil & Sprache Plot & Dramaturgie Trotz einer gewissen Leichtigkeit, mit der Kratochwil die Geschichte der Vergangenheit erzählt, schafft er einen Spannungsbogen bis hin zum gegenwärtigen Geschehen. Unsere Bewertung | ||
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Véronique Olmi: "In diesem Sommer“
Paare in der Krise. Leichtes für den Strand. Die Geschichte In diesem Jahr ist alles anders: Die Gastgeber stehen kurz vor der Trennung und schaffen es nicht mehr, miteinander zu kommunizieren, ohne die schwelende Aggression spüren zu lassen. Nicolas und Marie schützen sich mit ihrer Liebe vor der traurigen Realität seiner Depression und ihres Karriereendes. Schließlich scheint Lola's Lover ernstere Absichten zu haben, als sie es sich von ihm wünscht. Stil und Sprache Véronique Olmi, eine der bekanntesten Dramatikerinnen Frankreichs, versäumt es, der Geschichte den gewünschten Tiefgang zu verleihen. Auch wenn sie uns hinter die Fassaden der einzelnen Protagonisten blicken lässt, bleibt die wirkliche Wendung aus und uns der Blick in die Seelen verwährt. Das Buch lässt sich einfach lesen und bringt nicht die erwarteten Überraschungen, auf die man, nicht zuletzt durch Dimitris Rolle, gehofft hat. Unsere Bewertung
Diese fünf Unterpunkte münden in einer guten 3 als Gesamtbewertung. | ||
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Toine Heijmans: "Irrfahrt“
Leichte, unspektakuläre Lektüre Die Geschichte Donald, der Skipper, zelebriert seine Glücksmomente auf hoher See, die Unbeschwertheit und die Nähe zur Tochter. Und doch lesen wir aus den Gedankengängen des Protagonisten heraus, unter welchem Druck er in seinem Leben steht. Druck ein guter Vater sein zu wollen, ohne recht zu begreifen, was das eigentlich ist. Druck in der Firma, in der Karriere ohne ihn stattgefunden hat und Druck in seiner Beziehung, zu der er sich erst nach langer Zeit auf See langsam wieder zurück sehnt. Auch seine Ansprüche an sich selbst als guten Skipper kann er nicht erfüllen. Zunehmend läuft ihm sein Törn aus dem Ruder. Und dann zieht auch noch ein Sturm auf, bisher unbemerkt, alles entgleitet ihm. Stil und Sprache Unsere Bewertung | ||
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Thomas von Steinaecker: "Das Jahr, in dem ich aufhörte mir Sorgen zu machen und anfing zu träumen“
Eigenartiger bis surrealer Karriere-Roman Die Geschichte: Stil & Sprache: Plot & Dramaturgie: | ||
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Annette Pehnt: "Chronik der Nähe“
Verwirrende Mutter-Tochter-Beziehungen Sowohl die Großmutter als auch Annie sind zwar aktive Frauen, stellen sich jedoch gegenüber ihrer jeweils einzigen Tochter immer als Leidende dar. Sie behandeln sie nicht wie Kinder, sondern überfordern sie mit Vorwürfen und den eigenen Wünschen nach Bestätigung. Weder Freunde noch Männer spielen eine Rolle. Einzig die Ich Erzählerin scheint ein innigeres Verhältnis zu ihrem Ehemann zu haben. Doch sie ist nicht die große Heldin des Romans. Im Gegenteil. Im Vergleich zu der Geschichte ihrer Großmutter, die während und nach dem Krieg unter abenteuerlichen Umständen Geld und Lebensmittel für sich und ihr Kind organisiert, wirken die zwei anderen Frauenfiguren (eine Hausfrau der siebziger und eine Akademikerin der Gegenwart) ziemlich uninteressant. Dennoch hat nur die Großmutter, bei der man als einziges noch ein paar nicht auserzählte Geheimnisse vermuten kann, keine „eigene Perspektive“ und wird dem Leser nur durch die Erzählungen von Annie nähergebracht. Generell war unser Eindruck, dass die Spannung zum Ende des Romans nachlässt. Die Handlung hat keinerlei unerwartete Wendung, sondern ist eine oft auch verwirrende Aneinanderreihung von diversen Szenen von emotionaler Erpressung in den drei Generationen. Einige von uns fanden den Stil des Textes interessant – andere hingegen sahen darin ein schlechtes Tagebuch. Insgesamt schien uns „Chronik der Nähe“ vorwiegend ein Buch für Töchter zu sein, die mit ihren Müttern hadern und kein Sachbuch, sondern einen Roman zu dem Thema lesen wollen. Fest steht auch: Andere Bücher von Annette Pehnt haben uns deutlich besser gefallen. | ||
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Anna Katharina Hahn: "Am Schwarzen Berg“
Dramatisch, präzise, dabei leicht und schön zu lesen. Emil und Veronika Bub haben die Hoffnung auf ein eigenes Kind aufgegeben müssen. Als der ehrgeizige Arzt Hajo Rau mit seiner Frau und ihrem neunjährigen Sohn Peter im Nachbarhaus einziehen, wird der Junge für das kinderlose Ehepaar Bub zu einem Ersatzsohn. Der Lehrer und Mörike-Verehrer Emil und seine Frau Veronika knüpfen mit kleinen und großen Kniffen den Nachbarssohn eng an sich - Peter wächst gleichsam mit zwei Elternpaaren auf. In dieser Konstellation entwickelt er sich zu einem Mann, der die ehrgeizigen Lebensziele seiner Eltern nicht übernimmt. Er macht sich nichts aus Besitz und Karriere. Lieber möchte er sich intensiv um seine beiden Söhne kümmern als eine Teilhaberschaft in der Logopädie-Praxis zu übernehmen, in der er angestellt ist. Für seine Ehefrau Mia, die als Tochter einer allein erziehenden Putzfrau aufwuchs und sozial aufsteigen möchte, wird seine Leistungsverweigerung im Lauf der Jahre unerträglich. Der Roman "Am Schwarzen Berg" von Anna Katharina Hahn beginnt kurz vor dem Ende: Peter wurde vor wenigen Wochen von seiner Frau verlassen und dadurch psychisch und physisch aus der Bahn geworfen. Sowohl seine Eltern als auch seine Zieheltern aus dem Nachbarhaus versuchen, ihn aus seiner Depression zu befreien. In eingeschobenen Rückblenden erinnern sich Emil und Veronika an frühere Erlebnisse mit Peter. In den beiden vorletzten Kapiteln des Buches kommt Mia zu Wort. Aus ihrer Sicht wird die Entwicklung und das Scheitern der Ehe beschrieben. Im letzten Kapitel bringt die Autorin ihre Geschichte um Peter und seinen beiden Elternpaaren gekonnt zu einem dramatischen Ende. Stil & Sprache: Themen des Buches: Diese Themen haben wir in dem Buch von Anna Katharina Hahn zwar wiedergefunden, fanden aber andere Handlungsstränge wesentlich vorherrschender: die erdrückende Liebe zweier Elternpaare auf ein Kind, die Obsession eines kinderlosen Paares mit dem Ersatzsohn und die sich über Generationen hinweg wiederholende Geschichte eines im Grunde narzisstischem Verhältnisses von (Ersatz-)Vater zu Sohn. | ||
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Olga Grjasnowa: "Der Russe ist einer, der Birken liebt“
Sprachstark, mitreißend, konfliktgeladen Die Geschichte: Gut lesbar mit starkem Auftakt Die aus Aserbaidschan stammende jüdische Sprachstudentin Mascha Kogan lebt mit ihrem Freund Elias in Frankfurt am Main. Als Elias völlig unerwartet stirbt, fühlt Mascha sich nicht nur verantwortlich. Sein Tod bricht in Mascha auch alte Wunden auf. In ihrer Kindheit war sie Zeuge von Progromen. Insbesondere ein Erlebnis hat sie zutiefst verstört. Nach Elias Tod verliert sich Mascha in einer zunehmend depressiven, desorganisierten Gemütsverfassung. Auch ihre beiden besten Freunde, der Araber Sami und der Türke Cem, vermögen sie kaum zu motivieren. Aller Ehrgeiz und alle berufliche Zielstrebigkeit kommen der hochintelligenten jungen Frau abhanden. Mit letzer Kraft schafft sie ihren Studienabschluss und zieht nach Tel Aviv, um dort zu arbeiten und die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Eine Flucht ohne den erhofften Ausweg. Themen des Buches: Fremdenfeindlichkeit, Nahostkonflikt und Progrome, Suche nach der Identität Zwischen dem Leben der Autorin und ihrer Romanfigur gibt es viele Parallelen. Mit diesem Wissen wirken viele der Szenen und Themen beklemmend, denn sie zeigen ein sexistisches und in hohem Maße ausländerfeindliches Deutschland. Auch die blutige Gewalt und Grausamkeit, die Mascha als Kind erlebt hat, erschrecken. In Rückblicken erzählt Mascha von einer entsetzlichen Zeit in Aserbaidschan. Dieser sinnlosen Gewalt begegnen Mascha und der Leser auch in Israel wieder. Die Bewertung: sprachgewaltig, aber nicht in allen Szenen und Figuren überzeugend Die ersten 100 Seiten des Debütromans von Olga Grjasnowa bis zum Tod von Elias sind bewegend und mitreißend. Die in der Folge immer zahlreicher auftauchenden Figuren sind innerhalb unseres Lesekreises allerdings unterschiedlich bewertet worden: von "völlig überzeichnet" bis hin zu "wunderbar treffend geformt“. Die Meinungen zu dem Schreibstil reichten von „sprachgewaltig“ und „großartig“ bis zu „eher mäßig“. Die Vielzahl der Themen, die in dem Roman aufgegriffen werden, konnte die einen anregen und begeistern, auf andere wirkten die vielen Schwerpunkte von Identität, Nahostkonflikt und posttraumatischer Störung lediglich angerissen und wenig ausgearbeitet. Unsere Bewertungen des Romans von Olga Grjasnowa spiegelten dieses heterogene Bild wieder: Mit der Vergabe von schwachen 2 Punkten bis hin zu starken 4,5 Punkten kamen wir auf eine Durchschnittsbewertung von 3,5 von 5 möglichen Punkten. | ||
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Eugen Ruge: "In Zeiten des abnehmenden Lichts“
Sympathisch, stil- und pointensicher, bewegend Geschichte & Inhalt: Der demente Kurt war in früheren DDR-Zeiten eine wichtige Figur. Seine Frau Irina hat er in der russischen Gefangenschaft kenngelernt. Und doch kann er sich zeitlebens nicht von seinem Vater, dem alten Patriarchen Wilhelm, abnabeln. Ruge erzählt die Geschichte dieser drei Generationen aus immer wieder wechselnden Perspektiven der Familienmitglieder bis hin zum koksenden Berliner Schüler, Alexanders Sohn. Rückblicke wechseln sich mit aktuellen Zeitaufnahmen ab. In nahezu allen dieser 20 Kapitel und Geschichten spielt die Anpassung der Familienmitglieder an das politische System und seine Anforderungen mit hinein - damals wie heute. Etwa, wenn Irina, Kurts Frau, mit ausgesprochen gewitzen Methoden im Mangelsystem der früheren DDR die Lebensmittel für ihre jährliche Weihnachtsgans beschafft. Oder Kurt entscheiden muss, wie er mit einem von der Partei verstoßenen Kollegen umgeht. Dennoch ist "In Zeiten des abnehmenden Lichts" kein politisches Buch. Es beschreibt, ohne zu werten, das Überleben wollen jedes Einzelnen vor dem politischen Hintergrund eines immer mehr zerfallenden Ostblocks. Stil & Sprache: So lebt und leidet und hofft der Leser mit jedem der Familienmitglieder - wider besseres Wissen: "Nein, sie hatten sich nicht geirrt. Es gab ein Röntgenbild. Es gab ein CT. Es war klar. Krebs, langsam wachsender Typ. Gegen das es - wie taktvoll ausgedrückt - bis heute keine wirksame Therapie gäbe." Bewertung: | ||
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Judith Schalansky: "Der Hals der Giraffe“
sprachlich überzeugend, vergnüglich-grausam, schnörkellos Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, 222 Seiten Die Geschichte: Schüler haben sich daher anzupassen, sind notwendiges Übel und werden von ihr kalt bis grausam behandelt, „Verlierer“ rücksichtslos bloßgestellt. Dabei ist die Zukunft von Inge Lohmark ungewiss: In der schrumpfenden Kreisstadt im vorpommerschen Hinterland fehlt es an genau diesen Kindern, und in Kürze wird die Schule geschlossen werden. Lohmarks Mann, der zu DDR-Zeiten Kühe besamt hat, züchtet nun Strauße und ist wenig präsent in Lohmarks Leben. Ihre Tochter Claudia ist vor Jahren in die USA gegangen und hat sich von der Mutter sowohl räumlich als auch menschlich distanziert. Im Zeitverlauf des Schuljahres erleben wir, wie die Brüche in Inge Lohmarks Welt immer offensichtlicher und die Risse in ihrem Weltbild immer tiefer werden. Bewertung: | ||
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Edmund de Waal: "Der Hase mit den Bernsteinaugen“
Historisch interessant, gut lesbar, stimmig Zsolnay, 2011, 352 Seiten Die Geschichte: Edmund de Waal ist ein direkter Nachfahre der jüdischen Bankiersfamilie Ephrussi, die es über Generationen hinweg in Europa zu großem Reichtum brachte. Er verfolgt die Geschichte von 264 Netsuke,-kleinen geschnitzten, japanischen Kostbarkeiten. Der Erste Weltkrieg mit dem nachfolgenden Zusammenbruch der k.u.k. Monarchie leitet den Niedergang der Familie Ephrussi mit Ihrem Familiennetzwerk in halb Europa ein. Aus Russland und anderen Landesteilen des Ostens kommen die „Ostjuden“ nach Wien. Bei lautstarken Demonstrationen wird nun gegen Juden gehetzt. Erschütternd sind die Ausführungen de Waals über den Einmarsch der deutschen Truppen in Wien und seiner Beschreibung der perfiden, kriminellen Enteignungsmaschinerie. Der Weg der Netsuke endet jedoch nicht in den weiten Taschen der Nazis. Sie finden im Dezember 1945 ihren Weg zurück nach Japan, und gehen schließlich als Erbe an den Autor. Der letzte Rastplatz der Sammlung ist London. Stil & Sprache: Flüssige Sprache, die die Tragik der Juden treffend darstellt, ohne anklagend zu wirken. Gute Beschreibungen mit interessanter Wortwahl. Plot & Dramaturgie: Mit der Verfolgung der Netsuke bis in die heutige Zeit ist dem Autor ein kluger, dramaturgischer Schachzug gelungen, der die einzelnen Generationen der Familie Ephrussi geschickt verbindet. Etwas zu kurz kommt die Beschreibung der persönlichen Beweggründe der einzelne Personen. Über ihr Seelenleben erfährt der Leser nur wenig. Gesamtbewertung: Wir haben das Buch überwiegend gern gelesen und – schwanken in der Bewertung (bei 1 bis 5 Sternen) zwischen 3 und 3,5 Sternen. | ||
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Aravind Adiga: "Letzter Mann im Turm“
Anrührend, anschaulich, dramatisch C.H. Beck, 2011, 513 Seiten Die Geschichte: Wie weit geht der Mensch, geht eine Gemeinschaft, um an Geld zu kommen? Friedrich Dürrenmatt gab 1956 in seinem Theaterstück „Der Besuch der alten Dame“ eine klare Antwort. Die Dorfgemeinschaft bringt den früheren Schänder der zu Geld gekommenen Klara um. Der indische Autor Aravind Adiga erzählt, basierend auf einer realen Begebenheit aus Mumbai, die indische Variante: Ein Immobilienhai will ein altes Haus abreißen. Er bietet den Bewohnern viel Geld, damit sie ausziehen. Alle willigen ein, nur einer nicht: ein alter Lehrer, der damit die Wut der anderen auf sich zieht. Stück um Stück zerbrechen die alten Freundschaften der Bewohner des Wohnblocks, wird der an seinen Erinnerungen hängende Lehrer isoliert und lächerlich gemacht. Der bis dahin seit Jahrzehnten funktionierende Mikrokosmos aus ganz unterschiedlichen Bewohnern mit all ihren Schwächen und Macken zerfällt. Endlich scheint es eine Chance zu geben, die eigenen Wünsche und Sehnsüchte zu verwirklichen. Schließlich kämpft jeder Bewohner um das Geld für sich und seine Angehörigen – und gegen den Lehrer. Bewertung: Der Leser folgt dieser sehr bildhaften Beschreibung einer indischen Hausgemeinschaft mit dem bezeichnenden Namen Confidence (Vertrauen) und den Winkelzügen des Immobilienhais und seiner Handlanger mit einer Mischung aus Vergnügen, Bangen und wechselnden Sympathien. Denn Adiga vermeidet jedes Gut-Böse-Schema. Jeder der Handelnden in dieser Geschichte hat nachvollziehbare Gründe für das, was er will und tut - oder lässt. Bis hin zum verstörenden Ende. Mitunter verwirren allerdings die vielen ähnlich klingenden Namen. Auch werden die Marotten der Bewohner an manchen Stellen zu sehr ausgebreitet. 100 Seiten weniger hätten dem Buch gut getan. In jedem Fall fehlt der Sog, die Rasanz und auch die stückweise Bösartigkeit des ersten Buches von Aravind Adiga, dem „Weißen Tiger“. Wir geben daher – bei 1 bis 5 (Bestnote) möglichen - 2,9 Punkte. | ||
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Mario Vargas Llosa: "Der Traum des Kelten“
Historisch interessant, literarisch enttäuschend Suhrkamp Verlag, 2011, 447 Seiten Der Inhalt des Romans: In „Der Traum des Kelten“ beschreibt Mario Vargas Llosa das Leben des Roger Casement (1864-1916). Casement ist Sohn eines protestantischen irischen Soldaten und einer früh verstorbenen Katholikin. Im Auftrag der britischen Regierung untersucht er Gräueltaten der Kolonialherren gegen die Bevölkerung im Kongo und im peruanischen Amazonasgebiet. Mit seinen Berichten sorgt er für großes Aufsehen in Europa. In seinem späteren Leben tritt er für die Unabhängigkeit Irlands vom Vereinigten Königreich ein. Während des 1. Weltkriegs verhandelt er mit Deutschland, um Unterstützung für den Befreiungskampf der Iren zu erhalten; dies wird jedoch von den britischen Behörden entdeckt. Casement wird wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet. Bewertung: Wir haben das Buch mehrheitlich mit Interesse gelesen. Das Leben Casements bietet genug für eine Biographie oder einen Roman. Dass Vargas Llosa jedoch diese beiden Genres in „Der Traum des Kelten“ zu vermischen scheint, ist nach unserer Ansicht nicht geglückt. Die Konstruktion des Rückblicks, den der bereits inhaftierte Casement auf sein Leben wirft, scheint uns denkbar schlicht. Daneben blieb uns die Hauptfigur trotz der Tatsache, dass es sich um Rückblicke auf sein Leben handelt, fremd. Unklar bleiben die Motive, warum sich Casement – im Gegenteil zu der überwiegenden Mehrheit seiner Zeitgenossen – für die Gräueltaten in den Kolonien interessiert und Mitgefühl für die ausgebeutete und gequälte Bevölkerung empfindet. Auch sein übermäßiges Engagement für den irischen Befreiungskampf wird nicht nachvollziehbar motiviert. Die Nebenfiguren bleiben selbst und in ihrem Verhältnis zu Casement blass, einige werden zwar in die Handlung eingeführt, ihr weiteres Schicksal jedoch nicht weiter erwähnt. Auch erscheinen die Schrecken der Gräueltaten insbesondere im Amazonasgebiet durch besondere Detailgenauigkeit und Wiederholungen fast ausgewalzt. Gesamteindruck Sehr interessantes Thema, die Umsetzung scheint uns insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei dem Autor um einen Träger des Literaturnobelpreises handelt, jedoch nicht sehr geglückt. Wir vergeben 2,6 von 5 möglichen Punkten. | ||
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Javier Cercas: "Anatomie eines Augenblicks“
Historisch interessant, langatmig, spannungslos Die Geschichte: Am 23.Februar 1981 beginnt eine Gruppe rechtsgerichteter spanischer Militärs einen Putsch, indem sie die Mitglieder des Parlaments in Beugehaft nimmt. Während die Mehrheit der Abgeordneten unter ihren Bänken Schutz sucht, bleibt der scheidende Präsident Adolfo Suarez ruhig sitzen. Der Autor beschreibt die Rolle des Königs, des Militärs und des charismatischen Präsidenten Adolfo Suarez. Jedes seiner Buchteile beginnt mit einer Kameraeinstellung, wie bei einem Drehbuch und filmt die Entwicklung des Putsches bis zum Scheitern des Obersten Tejero. Stil & Sprache: Der Autor versucht ,wie ein Arzt, akribisch die Beweggründe jeder einzelnen Figur zu sezieren. Er schreibt ruhig und flüssig und beleuchtet die Figuren und Beweggründe, wie eine Kamera von außen,aus den verschiedensten Blickwinkeln. Spannung entsteht nur bei der Beschreibung der Schlüsselfigur, des Obersten Tejero, der nicht aufgeben will. Einige vom Author gewählte Metaphern („die Plazenta des Putsches“) wirken insbesondere durch unzählige Wiederholungen aufgesetzt und affektiert. Auch das dem Roman vorangestellte Nachwort wirkt durch seine Rechtfertigung und Nabelschau eher ermüdend. Plot & Dramaturgie: Die zugrunde liegenden Ereignisse sind gut recherchiert und lassen den Leser an einem historischen Moment der jüngeren Geschichte Spaniens teilhaben. Gut gewählt erschien uns auch die Idee, sich den Geschehnissen jeweils von den unterschiedlichen Protagonisten des Putsches zu nähern, wobei von uns allen die Sicht des Spanischen Königs vermisst wurde. Gesamtbewertung: Wir haben uns mehrheitlich schwer getan. Das Buch ist zu langatmig und der Autor verliert sich in vielfältigen Wiederholungen. Unserer Ansicht nach hat der Autor eine Chance vertan, indem er einen wichtigen Moment der europäischen Geschichte, dessen Verlauf in Deutschland größtenteils nur oberflächlich bekannt sein dürfte, durch ausufernde und teilweise gekünstelte Darstellung auf über 560 Seiten aufbläst. | ||
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Thomas Wolfe: "Die Party bei den Jacks“
Manesse Verlag 2011, 352 Seiten. Die Handlung des Buches ist überschaubar: Der Autor erzählt von einer Party der New Yorker Upperclass Ende der 20er Jahre. Die Vorbereitungen und das Event selbst werden aus den Perspektiven der Beteiligten geschildert – vom Dienstmädchen über den aus Deutschland stammenden Mr. Jack bis hin zur Gastgeberin, der amerikanischen Bühnenbildnerin Esther Jack. Mit den Augen eines Kindes Thomas Wolfe versucht in seinem Buch, die Eigenschaften und Eigenarten der „vortrefflichen Gesellschaft“ New Yorks und der sie umgebenden Menschen darzustellen. Wolfe geht dabei allerdings in großen Teilen völlig kritiklos zu Werke, insbesondere in Hinblick auf seine Hauptfigur Esther Jack. Wie ein Kind schaut dieser Autor mit großen Augen staunend und voller Bewunderung dem ganzen Treiben zu. Lediglich in den Passagen, die sich mit den Dienstboten beschäftigen, zeigt er nachvollziehbar Konflikte auf. Unklar bleibt auch, warum der eigentlichen Handlung des Romans eine traumartige Beschreibung der Kindheit des im späteren Verlauf eher wenig präsenten Mr. Jack vorangestellt wurde. Schwülstige Sprache In übertriebener, schwülstiger und altmodischer Sprache zieht sich der handlungsarme Text dahin. „Keim des Lebens, Zauber der Mutter Erde, tiefer Frieden in seiner Seele“ – jeder Satz wird durch schlichte, trivale und abgegriffene Adjektive und Bilder banalisiert. Einfaches Mahl, kluger Architekt, die starken mächtigen Nasenflügel leicht bebend, fühlte sich wie ein junger Hengst – um hier nur Beispiele einer einzigen von insgesamt 352 Seiten aufzuführen, in denen es zudem von Wiederholungen wimmelt. Über die Frage, ob dies der fehlenden Überarbeitung durch den Autor – oder seinem fehlenden Talent? - geschuldet ist oder vom ihm bewusst zur Verdeutlichung der Oberflächlichkeit der dargestellten Personen eingesetzt wurde, konnten wir uns nicht einigen. Unvollendet oder unfähig? Insgesamt hat man den Eindruck, der Roman sei noch nicht fertig. Tatsächlich stammt das Werk aus dem Nachlass von Thomas Wolfe, wurde dort von Literaturagenten "entdeckt" und als Buch über den Vorabend der Weltwirtschaftskrise, die hier als ungeklärter Zusammenbruch im New Yorker Untergrund dargestellt wird, vermarktet. Die Kritik ist jedenfalls mit diesem Buch sehr wohlwollend umgegangen, hält es zwar für überbordend, aber auch aufschlussreich und literarisch interessant. Die Meinung teilen wir nicht: Wir geben 2,3 von 5 möglichen Punkten (sehr gut) und raten von der Lektüre ab. | ||
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Zsuzsa Bánk: "Die hellen Tage“
S. Fischer, 541 Seiten, 2011 Über „Die hellen Tage“ der Kindheit und die dahinter liegenden dunklen Geheimnisse von Aja, Seri und Karl erzählt Zsuzsa Bánk in ihrem zweiten Roman, der sich auch auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises findet. Die Geschichte des Romans Die erste Hälfte des Buches kreist um Ajas Mutter Évi, die den drei Kindern viele unbeschwerte Erlebnisse ermöglicht und sie mitsamt ihren Eltern quasi miterzieht. Evi ist das Umherreisen der Roma leid und erarbeitet sich ein sesshaftes Leben in der süddeutschen Provinz. Mit ihrem großen Herz holt sie Karls Eltern ins Leben zurück und bittet auch selbst um Hilfe, wenn sie diese braucht. Bei ihrem Studium in Heidelberg und Rom erfahren die drei die Grenzen ihrer Freundschaft und werden mit den bislang verdrängten dunklen Tagen ihrer Familien konfrontiert. Themen des Buches Bewertung des Buches Der Stil des Buches wurde sehr unterschiedlich beurteilt. Während einige die langen Sätze und die bildreiche Sprache als gelungen lobten, haben andere dies und die ständigen Wiederholungen der gleichen Bilder als anstrengend und ermüdend empfunden. | ||
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Michel Houellebecq: "Karte und Gebiet“
DuMont Verlag 2011, 416 Seiten Wer ein neues Gebiet erkundet, ist gut beraten, sich vorher eine Karte zu besorgen. In seinem jüngsten Roman zeichnet Michel Houellebecq die persönlichen und ökonomischen Beziehungen seiner Figuren wie ein Kartograf nach, markiert Personen, Orte und Marken wie Sehenswürdigkeiten und macht sich Gedanken über Schicksal und Wille. Ist das Leben eine Straßenkarte? Die Geschichte des Romans Themen des Romans sind Die Bewertung der Shortlist-Mitglieder | ||
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Jonathan Lethem: "Chronic City“
Tropen, 491 Seiten, 2011 (Original: 2009) Chronic City ist der neue Roman des 1964 in New York geborenen Jonathan Lethem, der bisher sieben Romane veröffentlicht hat. Jonathan Lethem hat am renommierten Pomona College als Nachfolger von David Foster Wallace die Professur für Creative Writing übernommen. Die Geschichte des Romans Als Chase Perkus Tooth, den Sonderling und ehemaligen Journalisten des Rolling Stone kennenlernt, offenbart sich ihm eine neue Welt, in der wilde Theorien über Filme, Literatur, das Leben und alles weitere gesponnen und miteinander verwoben werden. Zusammen lassen sie sich durch ein surreales ew York treiben, dass vom grauen Nebel an der Wall Street, einem vermeintlich riesigen und zerstörerischen Tiger, dauerhaftem Schneefall und allerlei exzentrischen Figuren bevölkert wird. Themen des Romans sind Die Bewertung der Shortlist-Mitglieder | ||
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Siri Hustvedt: "Der Sommer ohne Männer“
Rowohlt Verlag, 252 Seiten, 2011 Inhalt: In „Der Sommer ohne Männer“ geht es um die New Yorker Dichterin Mia, deren Mann ihr eines Tages eröffnet, dass er eine Pause von der Ehe haben möchte. Tatsächlich hat er eine Affäre mit einer jüngeren Arbeitskollegin. Die verletzte Mia erleidet eine Psychose und wird in eine Klinik eingeliefert. Als es Mia nach einiger Zeit wieder etwas besser geht, verlässt sie die Stadt, um den Sommer in der Nähe ihrer Mutter zu verbringen. Zusätzlich will sie in ihrem Provinzheimatort einen Poesie Workshop geben. In diesem Kurs spielen sich dann vor ihren Augen ähnliche Szenen ab, wie Mia sie vor vielen Jahren selbst erlebt hat – eines der Mädchen, das „irgendwie anders ist“ wird von den übrigen gedemütigt. Themen des Romans: Das, was sich in der Kurzzusammenfassung liest wie eine außerordentlich erfolgreiche Psychoanalyse, ist so dezent beschrieben, dass es an keiner Stelle aufgesetzt wirkt und man es sogar überlesen könnte. Ein großer Verdienst dieses Romans! Umso mehr war es verwunderlich, dass Siri Hustvedt und Dennis Scheck bei der Lesung der Autorin in Hamburg gar nicht darauf eingingen, sondern sich über Neurowissenschaften, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen und die Reflexionen über Zeit im Roman unterhielten. Themen, die uns als nicht so vorrangig erschienen. Außerdem wurden bei dieser Veranstaltung fast ausschließlich die expliziten Szenen vorgelesen, in denen Mia über Sexualität nachdenkt, und die wir alle uninteressant bis befremdlich fanden. Auch die Illustrationen hätte das Buch nicht gebraucht. Bewertung der Shortlist-Mitglieder: Trotz der angesprochenen Schwäche: Der sehr gut lesbare Roman kam bei unserer Wertung gut weg und schaffte 3,7 Punkte - bei einer möglichen Bewertung von 0 (schlecht) bis 5 Punkte (das perfekte Buch). | ||
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Doron Rabinovici: "Andernorts“
Suhrkamp Verlag, 286 Seiten, 2010 Mit „Andernorts“ schaffte es der 1961 in Israel geborene, in Wien lebende Autor auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2010. Inhalt Themen des Buches sind
Die Bewertung der Shortlist-Mitglieder
Insgesamt haben wir - mit einer Ausnahme - den Roman gern gelesen und vergeben durchschnittlich 3,9 Punkte. | ||
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Ian McEwan: "Solar“
Diogenes, 405 Seiten, 2010 Mit „Solar“ wirbelte der britische Erfolgsautor die deutschen Feuilletons auf, wurde als „erster großer Roman, der den Klimawandel thematisiert“ angekündigt und als „Wissenschaftssatire“ mit "scharfkonturierten Plots" gepriesen, in dem es jedoch nur am Rande um Solarenergie geht. Inhalt Michael Beard ist Physiker und Frauenheld. Er hat den Nobelpreis erhalten, doch das ist lange her und seine Prioritäten im Leben haben sich längst verändert: Im Beruf ruht er sich auf seinen Lorbeeren aus, privat ist er stets auf der Jagd nach Annerkennung in der Frauenwelt. Bis die geniale Idee eines jungen Wissenschaftlers sowie dessen Tod für Wirbel in seinem Leben sorgt. In Solar geht es nicht nur um Sonnen-, sondern auch um kriminelle Energie und menschliche Schwächen. Themen des Buches sind
Die Bewertung der Shortlist-Mitglieder
Insgesamt haben wir - mit einer Ausnahme - den Roman gern gelesen und vergeben durchschnittlich 3,4 Punkte – bei einer möglichen Bewertung von 0 (schlecht) bis 5 Punkte (das perfekte Buch). | ||
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Marie N´Diaye: "Drei starke Frauen“
Politisch, erschreckend, betrüblich Die Autorin Für „Drei starke Frauen“ wurde die aus dem Senegal stammende Französin Marie N´Diaye mit dem französischen Literaturpreis Prix Goncourt ausgezeichnet. Marie N´Diaye, 43, verließ Frankreich aus Protest gegen die Einwanderungspolitik von Sarkozy und lebt heute mit Mann und Kindern in Berlin. Der Inhalt des Buches In drei lose miteinander verwobenen Geschichten erzählt Marie N´Diaye die Lebensgeschichte von 3 afrikanischen Frauen. Exil, Verrat und Gewalt in der Familie Um diese drei Themen kreisen die Geschichten des Buches. Frankreich, die frühere Kolonialmacht – sie ist für Khady das unerreichbare Ziel, für Fanta und ihren Mann der Ort ihres Scheiterns und für Juristin Norah ein Ort, an dem sie sich nur mit äußerster Disziplin durchsetzen kann. Und alle drei werden von Männern aus Schwäche und Feigheit verraten. Da gibt es den Vater, der Frau und Töchter im Stich lässt. Den Mann, der seine Frau belügt, um sie nach Frankreich zu locken. Und den Begleiter der Flüchtigen, der sie opfert, um selbst zu entkommen. In jeder der Geschichten ist der Leser zudem mit Gewalt bis hin zum sinnlosen Mord konfrontiert. Die Bewertung der Shortlist-Mitglieder:
Gesamteindruck Gut. Drei starke Frauen ist vor allem auch ein politisch interessantes Buch, dessen drei sprachlich ganz eigenständige Geschichten drei ganz unterschiedliche, aktuelle Schlaglichter auf das Leben afrikanischer Frauen im 21. Jahrhundert werfen. Wir geben deshalb 3,4 Punkte – bei einer möglichen Bewertung von 0 (schlecht) bis 5 Sterne (das perfekte Buch). | ||
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Hans-Ulrich Treichel: "Grunewaldsee“
Suhrkamp Verlag, 237 Seiten, 2010 Grunewaldsee ist der neue Roman des 1952 in Versmold/Westfalen geborenen und in Berlin und Leipzig lebenden Germanistik-Professors Hans-Ulrich Treichel. Die Geschichte des Romans: Der aus der niedersächsischen Provinz stammende Paul wartet in West-Berlin nach Abschluss des Studiums auf einen Referendariatsplatz. Um die lange, mehrjährige Wartezeit zu überbrücken, nimmt er einen Job als Sprachlehrer in Spanien an, verliebt sich dort in die unglücklich verheiratete, schwangere Maria und verliebt mit ihr einen idyllischen Sommer, der all seine bisherigen Erlebnisse mit Frauen in den Schatten stellt, so dass er nach seiner Rückkehr nach Berlin nicht nur auf den Referendariatsplatz wartet, sondern auch auf das Wiedersehen mit seiner spanischen Geliebten. Themen des Romans sind
Die Bewertung der Shortlist-Mitglieder:
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Richard Price: "Cash“
S. Fischer, 2010, 528 Seiten Unsere Meinung: Drehbuchartig, realistisch, polarisierend Die Story: Die Lower East Side von New York. Polizisten, Diebe und Kneipenvögel steifen durch die Gegend. Die Perspektive wechselt zwischen ihnen. Dann werden drei junge, jeweils künstlerisch ambitionierte Männer von zwei Ghetto-Kids überfallen. Es kommt zu einem Wortwechsel und zu einem Schuss. Aus dem geplanten Raub wird Mord, einer der drei, Ike Markus stirbt und die Kids entkommen. Doch die Aufklärung der Tat ist nicht so einfach. Die unterschiedlichen von dem Verbrechen berührten Personen: Der einsame Täter Tristan, der frustrierte, sich verweigernde Hauptzeuge Eric Cash, die an vielen Fronten kämpfenden Ermittler Matty Clark und seine Kollegin Yolanda, sowie der verzweifelte, übereifrige Vater des Toten Billy Markus, werden beschreiben und wie von einer Kamera begleitet, bis es begünstigt durch einen Zufall zur Lösung des Falles kommt. Stil & Sprache: Die viel gelobten Dialoge und die realistischen, stilistisch „schlanken“ Beschreibungen erinnern stark an ein Drehbuch. Wobei nur zu ahnen ist wie viel von seinem sprachlichen Reiz der Text durch die Übersetzung verliert. Plot & Dramaturgie: Der Anfang des Romans liest sich ein wenig sperrig. Erst ab Seite 100, nachdem man die Figuren kennen gelernt hat, setzt die Spannung ein und hält dann aber bis zum Ende an. Gesamtbewertung: Dieses Buch polarisiert. Es gibt echte Fans, die Mehrheit unserer Gruppe ist jedoch wenig begeistert. Bewertungen: von 0 (schlecht) bis 5 Sterne (das perfekte Buch). | ||
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Colum McCann: "Die große Welt“
Unsere Meinung zu „Die große Welt“ von Colum Mc Cann: Literarisch, gut lesbar, stimmig. Rowohlt, 2009, 537 Seiten
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Kathrin Schmidt: "Du stirbst nicht“
Fest steht: Sprachlich ist dieses Buch grandios. Knapp, mitleidlos, in kurzen Sätzen, Satzfetzen, beschreibt Kathrin Schmidt die Selbstwahrnehmung ihrer Protagonistin Helene. Helene, die nach einem Gehirnschlag erwacht, ihre eigene physische und geistigen Beschränkung und die andauernde Entmündigung durch das Pflegepersonal wahrnimmt, analysiert und ironisiert - und doch kaum Chancen hat, sich der Umwelt mitzuteilen. Und sich dann Stück für Stück ihre Identität zurückerobert, sich immer mehr und öfter erinnert an ihr früheres Leben, ihre Lieben, ihre Kinder, ihren Mann und was sie für ihn empfand. Einig sind wir uns: Mindestens ein Drittel hätte man kürzen können, und das Buch hätte gewonnnen. Irgendwann ermüdet das Schlabbern, die Mitteilungen über den hilflosen verschlauchten Körper und das Krankenhaus. Würden wir noch mal ein Buch von Kathrin Schmidt lesen? Nein sagen die, die die ungeschminkte, übergewichtige Helene und die ganze Ostalgie nicht ausstehen konnten – und ähnliches bei anderen Büchern befürchten. Unbedingt, sagen die, die diese Frau unglaublich spannend, lebensbejahend finden und gerne mehr über solche Lebenskünstlerinnen lesen würden. | ||
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Leon de Winter: "Das Recht auf Rückkehr“
Israel im Jahr 2024. In einem aussterbenden Land, das auf die Größe von Tel Aviv geschrumpft ist und in dem nur noch die Alten und Kranken zurückgeblieben sind, lebt Bram, Kind eines Nobelpreisträgers und früherer Nahost-Friedenforscher. Er unterstützt Eltern dabei, ihre verlorenen Kindern wieder zu finden. Bram selbst und sein erfolgreiches Familien- und Karriereleben sind zerbrochen, als 20 Jahre zuvor sein Sohn verschwand. Die Frage nach dem richtigen politischen Weg „Recht auf Rückkehr" plädiert für Härte, kritisiert die jüdische Milde gegenüber dem Feind. Bram, sein Sohn, der befreundete Politiker, der Staat Israel – sie alle haben 2024 die Schlacht gegen den Islamismus verloren. Das jüngste ist damit auch das bislang politischste Buch des jüdischen Autors, dessen extreme These beunruhigt, nachdenklich macht und die eigene bisherige Position hinterfragt. Die Bewertung Leon de Winter polarisiert: Die Meinungen für „Recht auf Rückkehr“ reichen von „konnte ich nicht fertig lesen“ bis zu „habe ich begeistert zweimal verschlungen“. Die einen geben 2 Punkte (1 = schlecht), die anderen 4 plus (5 = sehr gut). Schwierig bis abschreckend, so die Kritik, die vielen Vor- und Rückblenden. Auch die Bilderbuchehe des jungen Brams mit der schönen isrealischen Ärztin am Anfang des Buches wurde als holzschnittartig empfunden. Unisono begeistert dagegen die Sprache dieser Nahost- und Familiengeschichte. Insbesondere die düsteren Zukunftspassagen in einem zum totalen Überwachungsstaat aufgerüsteten Israel sind beklemmend gut geschildert und kreisen um die eigentliche große Frage dieses Buches: Wie kann sich Israel inmitten der umgebenden feindlichen arabischen Staaten eine Zukunft sichern? | ||
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