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Judith Herrmann - Wir hätten uns alles gesagt

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Buchkritik

Eugen Ruge: "Metropol“

Eindrücklich. Autobiografisch. Authentisch.
Rowohlt Verlag, 2019, 429 Seiten


Darum geht es:
Eugen Ruge folgt drei Menschen auf den schmalen Grat zwischen Überzeugung und Wissen, Loyalität und Gehorsam, Verdächtigung und Verrat. Ungeheuerlich ist der politische Terror der 1930er Jahre, aber mehr noch: was Menschen zu glauben imstande sind.

Nach dem internationalen Erfolg von «In Zeiten des abnehmenden Lichts» kehrt Eugen Ruge zurück zur Geschichte seiner Familie - in einem herausragenden zeitgeschichtlichen Roman.
Moskau, 1936. Die deutsche Kommunistin Charlotte ist der Verfolgung durch die Nationalsozialisten gerade noch entkommen. Im Spätsommer bricht sie mit ihrem Mann und der jungen Britin Jill auf zu einer mehrwöchigen Reise durch die neue Heimat Sowjetunion. Die Hitze ist überwältigend, Stalins Strände sind schmal und steinig und die Reisenden bald beherrscht von einer Spannung, die beinahe körperlich greifbar wird. Denn es verbindet sie mehr, als sich auf den ersten Blick erschließt: Sie sind Mitarbeiter des Nachrichtendienstes der Komintern, wo Kommunisten aller Länder beschäftigt sind. Umso schwerer wiegt, dass unter den «Volksfeinden», denen gerade in Moskau der Prozess gemacht wird, einer ist, den Lotte besser kennt, als ihr lieb sein kann
«Metropol» ist eng mit Ruges Debüt «In Zeiten des abnehmenden Lichts» verbunden, aber auch mit einem Buch seines Vaters, das zeitlich zwischen beiden Romanen steht und die Lücke ausfüllt: Zusammen mit Wolfgang Ruges «Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunion» entsteht eine der wohl umfassendsten und ergreifendsten Erzählungen des deutschen Kommunismus im 20. Jahrhundert.


So klingt der Roman:
Der Leser wechselt mit den erzählenden drei Hauptprotagonisten (Charlotte; Wassili Wassiljewitsch Ulrich, dem Vorsitzenden Richter der berüchtigten Moskauer Schauprozesse gegen führende Bolschewiki und Hilde Tal, einer lettischen Revolutionärin im Komintern-Apparat und Ex-Frau von Charlottes Mann Wilhelm) immer wieder die Perspektive und wird so in ein Wechselbad der Gefühle geworfen. Dabei nimmt Charlotte den größten Raum ein. Die drei Personen werden miteinander in Beziehung gesetzt, wie Marionetten gelenkt von der Grausamkeit der Zeit. Aufgrund der detailfreudigen Darstellung durch Eugen Ruge kann sich der Leser eindrucksvoll und immer tiefer in die Zeit des sowjetischen Terrors begeben und die Zeit und Zustände nachempfinden. Man leidet mit Charlotte, wundert sich aber auch über ihre Naivität.


Das ist unsere Meinung:
Vorweg sei erwähnt, dass wir dieses Buch das erste Mal in einer Telefonkonferenz besprochen haben. Corona zwang uns dazu, unsere heimeligen Runden im Hotel Reichshof aufzugeben.

Gleichwohl wurde auch „Metropol“ intensiv besprochen. Thematisch berührt der Roman eine bisher kaum beschriebene Zeit, die zugleich Teil der deutschen Geschichte ist: der Stalinismus und die deutschen Kommunisten.Durch die autobiografischen Züge wird das Buch sehr authentisch und ergreifend. Unsere Runde hat sich dann trotz unisono geschilderter Schwierigkeiten beim Einstieg auch sehr für das Buch, dessen Sprache und Bilder begeistern können.


Fazit:
Ein Buch, das vor allem neue Sichtweisen auf eine unbekannte Zeit eröffnet hat und niemanden kalt liess: durchweg große Begeisterung in der Bewertung – der Mittelwert von 3,9 aus 5 Punkten spricht für sich. Herausgehoben wurde dabei insbesondere das spannende Thema. Und bestätigen liess sich die Aussage des SWR2-Rezensenten: "ein Pageturner..."

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