Sprachgewaltiges Debüt über familiäre Verletzungen und eine mögliche Heilung
dtv, 2022, 376 Seiten
Darum geht es:
Die Ich-Erzählerin Juli wächst in einem guten Stuttgarter Vorort auf. Sie ist die jüngste Tochter von vier Kindern. Es ist eine Vorzeigefamilie. Ihre Eltern sind Rechtsanwälte, die Familie ist angesehen. Juli ist Klassenbeste. Doch der Vater tyrannisiert die Familie, er schlägt und drillt auf Leistung. Die Mutter schweigt, streitet ab und kaschiert die Exzesse.
Wir begleiten Juli über drei Kapitel dabei, wie sie versucht, Deutungshoheit über ihr Leben zu erlangen. Wir erleben sie als 17-jährige Schülerin und schauen ihr als 25-jährige Studentin in Berlin sowie als 27-Jährige in Zürich beim Erwachsenwerden zu. Dabei erfahren wir immer wieder über die wechselnden Beziehungsdynamiken zu den anderen Familienmitgliedern.
Es ist nicht einfach, den Roman auf ein Thema zu begrenzen. Er verhandelt viele verschiedene Themen: neben psychischer und körperlicher Gewalt geht es um den Umgang mit diesen Erfahrungen und den Folgen davon. Themen wie Identität und Einsamkeit spielen ebenfalls eine zentrale Rolle.
Über die Autorin:
Die Autorin, 1986 in Tübingen geboren, hat den gleichen Lebenslauf wie ihre Heldin im Roman. Sie wuchs auf im Stuttgarter Speckgürtel, studierte in Berlin (Literaturwissenschaft, Amerikanistik und Kunstgeschichte), lebte dann in Zürich. Hier war sie als Journalistin und Kolumnistin tätig. Seit 2018 lebt sie als Autorin in Hamburg. Im Mai 2022 erschien ihr erster Roman und wurde schnell mit dem Literaturpreis der Hamburger Kulturbehörde ausgezeichnet.
Bewertung:
Unsere Bewertung von 3,8 von 5 Punkten zeigt, dass die meisten von uns von dem Roman begeistert waren und diesen weiterempfehlen würden. Die Mehrheit hat das Buch in den Bann gezogen und bis zum Ende mitgenommen. Insbesondere die Sprache war für viele von uns einmalig und ausschlaggebend: der „trotzige Ton“ der Ich-Erzählerin hatte etwas Halt gebendes und Hoffnungsvolles; ihre daraus anklingende Widerständigkeit beeindruckte uns. Einige fanden die Sprache eher störend, sie erschien zeitweise als abgehackt und zu gewollt erschien.
Wir waren uns einig über die Relevanz der Themen des Buches (Gewalterfahrungen im bürgerlichen Milieu), die wir so selten irgendwo anders gelesen haben. Besonders beeindruckte uns die authentischen und präzisen Beschreibungen.
Diese machten es gleichzeitig jedoch auch für viele von uns hart zu lesen. Nicht alle mochten daher das Buch bis zum Ende lesen. Manche fanden den Roman „zu überlagert an Themen“ mit dem einhergehenden Eindruck, dass das Buch manchmal „ein wenig zu viel will“. Darüber hinaus ging auch die Meinung zu der Stärke der einzelnen Kapitel sowie des Endes auseinander. (gm)