Literatur am Abend: Montag, 13. Mai, 19.30 Uhr
Nele Pollatschek - Kleine Probleme

Abb. © Verlag
Buchkritik

Robert Menasse: "Die Hauptstadt“

Politisch, intelligent, spannend
Suhrkamp, 459 Seiten,


Es geht um Politik, um die EU-Kommission, um deren Mitarbeiter und vor allem um die europäische Idee. Mit seinem pointierten und unterhaltsamen Gesellschaftsroman gewann der österreichische Autor Robert Menasse den Deutschen Buchpreis 2017.


Die Hauptstadt sei ein “vielschichtiger Text, der auf meisterhafte Weise existenzielle Fragen des Privaten und Politischen miteinander verwebt und den Leser ins Offene entlässt“ begründet die Jury ihre Wahl. Menasse mache klar, „dass die Ökonomie allein uns keine friedliche Zukunft wird sichern können.“

Er erinnert auch in diesem Werk an die Wurzeln der europäischen Union und deren Gründungsidee: durch ökonomische Verflechtung künftige Kriege unmöglich zu machen.


Handlung:
Im Zentrum des Romans steht das „Big Jubilee Projekt“: 50. Geburtstag der EU-Kommission. Die Generaldirektion Kultur unter Leitung der Zypriotin Xenia liefert ein radikales Konzept, um das schlechte Image der Kommission aufzubessern: Sie will alle KZ-Überlebenden als Testimonials einladen, und zwar nach Ausschwitz.


Das will allerdings in der EU-Kommission außerhalb der Kultur keiner. Der Roman erzählt aus ganz verschiedenen Perspektiven, wie dieses Projekt scheitert und zwischen persönlichen und politischen Interessen des EU-Apparates zerrieben wird.


Neben der ehrgeizig Karrierebeamtin Fenia Xenopoulou und ihrem Referenten Martin Sustmann samt diversen weiteren Mitarbeitern der Kommission agieren in dem Roman noch weitere zentrale Charaktere.
Da ist zum einen der KZ-Übelebende David de Vriend, der im Widerstand für die europäische Demokratie kämpfte und nun im Altersheim auf seinen Tod wartet.
Kommissar Emile Brunfeauts Großvater gehörte dem gleichen Widerstand an. Der übergewichtige Kommissar versucht einen mysteriösen Mord aufzuklären, der im Hotel Atlas stattfand.
Im Nebenzimmer des Hotels wird Prof. Ehrhardt Zeuge dieses Mordes. Er ist als Sachverständiger nach Brüssel gekommen, um als Mitglied des Think Tanks „New Pact for Europe“ zu referieren.
Der Roman erzählt die Lebensgeschichten dieser Hauptfiguren parallel. Immer wieder kreuzen sich auch deren Wege bis zum dramatischen Schluss.


Autor:
Der 63jährige Österreicher Robert Menasse beschäftigt sich seit langem mit der europäischen Idee und deren Geschichte. Der Autor hat in Brüssel gelebt und recherchiert. Er warnt immer wieder davor, die EU nur als bessere Wirtschaftsgemeinschaft zu sehen. Mit diesem prämierten Roman hat er es nun geschafft, seinen europäischen Gedanken einem großen Publikum nahezubringen.


Bewertung:
Die Kritik gibt den Juroren des Buchpreises recht und spricht von einem „mit Leidenschaft und Leichthändigkeit erzählten Buch“ (SZ). Die NZZ freut sich über den regelrechten Krimi um die europäische Fleischindustrie. Die FAZ sieht „Witz und Konstruktionsenergie“, und die FR begeistert sich, dass Menasse „den bürokratischen Klotz, als den sich die Welt Brüssel vorstellt, menschlich erscheinen lässt.


Auch in unserer Gruppe gab es kaum Kritik und viel Begeisterung für die „Hauptstadt“. Vor allem der Stil und die Sprache des Buches wurden als sehr gelungen bewertet. Mit 4 von 5 möglichen Gesamtpunkten erhielt der Roman eine der höchsten Bewertungen, die wir in den vergangenen Jahren vergeben haben.

(ut)

 

Weitere Kritiken:

Annette Mingels: Der letzte Liebende
Tijan Sila: Radio Sarajevo
Mohamed Mbougar Sarr: Die geheimste Erinnerung der Menschen
Juli Zeh Simon Urban: Zwischen Welten
Johan Theorin: Nebelsturm
Milena Michiko Flasar: Herr Kato spielt Familie
András Forgách: Akte geschlossen
Haruki Murakami: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
Jens Steiner: Carambole
Lily Brett: Lola Bensky
Ned Beauman: Der gemeine Lumpfisch
Jakob Guanzon: Überfluss
Jennifer Egan: Candy Haus
Fatman Aydemir: Dschinns
Claudia Schumacher: Liebe ist gewaltig
Isabel Allende: Violeta
Hernan Diaz: Treue
Edouard Louis: Anleitung ein anderer zu werden
Eckhard Nickel: Spitzweg
Daniel Schreiber: Allein
Marie NDiaye: Die Rache ist mein
Jonathan Franzen: Crossroads
Stephan Thome: Pflaumenregen
Alex Schulman: Die Überlebenden
Mithu Sanyal: Identitti
Christian Kracht: Eurotrash
Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne
Ayad Akhtar: Homeland Elegien
Annette Mingels: Dieses entsetzliche Glück
Deniz Ohde: Streulicht
Adam Haslett: Stellt euch vor, ich bin fort
Mario Vargas Llosa: Harte Jahre
Birgit Birnbacher: Ich an meiner Seite
Adeline Dieudonné: Das wirkliche Leben
Ulrich Tukur: Ursprung der Welt
Dror Mishani: Drei
Eugen Ruge: Metropol
Ocean Vuong: Auf Erden sind wir kurz grandios
John Ironmonger: Der Wal und das Ende der Welt
Annette Hess: Deutsches Haus
Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall
Monica Sabolo: Summer
Nell Zink: Virginia
Annie Ernaux: Erinnerung eines Mädchens
Maria Cecilia Barbetta: Nachtleuchten
Stephan Thome: Gott der Barbaren
Fernando Aramburu: Patria
João Tordo: Die zufällige Biographie einer Liebe
Ayelet Gundar-Goshen: Lügnerin
Yaa Gyasi: Heimkehren
Edna O’Brien: Die kleinen roten Stühle
Lauren Groff: Licht und Zorn
Franzobel: Das Floß der Medusa
Julian Barnes: Der Lärm der Zeit
Dorit Rabinyan: Wir sehen uns am Meer
Nathan Hill: Geister
Ian McEwan: Nussschale
Elif Shafak: Der Geruch des Paradieses
Han Kang: Die Vegetarierin
Steven Galloway: Der Illusionist
Jane Gardam: Ein untadeliger Mann
Elena Ferrante: Meine geniale Freundin
Joost Zwagerman: Duell
Dietmar Dath: Leider bin ich tot
Sascha Reh: Gegen die Zeit
Andreas Kollender: Kolbe
Yiyun Li: Schöner als die Einsamkeit
Monique Schwitter: Eins im andern
Maylis de Kerangal: Die Lebenden reparieren
Harper Lee: Gehe hin, stelle einen Wächter
Nadifa Mohamed: Black Mamba Boy
Amos Oz: Judas
Ludwig Winder: Der Thronfolger
Patrick Modiano: Gräser der Nacht
Carl Nixon: Settlers Creek
David Peace: GB84
Hilary Mantel: Die Ermordung Margaret Thatchers
Jhumpa Lahiri: Das Tiefland
Yasmina Reza: Glücklich die Glücklichen
Margriet de Moor: Melodie d'amour
Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah
Michael Chabon: Telegraph Avenue
Daniel Galera: Flut
Elizabeth Strout: Das Leben natürlich
Terézia Mora: Das Ungeheuer
Uwe Timm: Vogelweide
Leon de Winter: Ein gutes Herz
Ned Beauman: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beförderung eines Menschen von Ort zu Ort
Juli Zeh: Nullzeit
Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Richard Ford: Kanada
Jenny Erpenbeck: Aller Tage Abend
Stephan Thome: Grenzgang
Ursula Krechel: Landgericht
Stephan Thome: Fliehkräfte
Clemens J. Setz: Indigo
Vea Kaiser: Blasmusik Pop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam
Germán Kratochwil: Scherbengericht
Véronique Olmi: In diesem Sommer
Toine Heijmans: Irrfahrt
Thomas von Steinaecker: Das Jahr, in dem ich aufhörte mir Sorgen zu machen und anfing zu träumen
Annette Pehnt: Chronik der Nähe
Anna Katharina Hahn: Am Schwarzen Berg
Olga Grjasnowa: „Der Russe ist einer, der Birken liebt
Eugen Ruge: „In Zeiten des abnehmenden Lichts“
Judith Schalansky: Der Hals der Giraffe
Edmund de Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen
Aravind Adiga: Letzter Mann im Turm
Mario Vargas Llosa: Der Traum des Kelten
Javier Cercas: Anatomie eines Augenblicks
Thomas Wolfe: Die Party bei den Jacks
Zsuzsa Bánk: Die hellen Tage
Michel Houellebecq: Karte und Gebiet
Jonathan Lethem: Chronic City
Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer
Doron Rabinovici: Andernorts
Ian McEwan: Solar
Marie N´Diaye: Drei starke Frauen
Hans-Ulrich Treichel: Grunewaldsee
Richard Price: Cash
Colum McCann: Die große Welt
Kathrin Schmidt: Du stirbst nicht
Leon de Winter: Das Recht auf Rückkehr

Alle Buchkritiken