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Hernan Diaz: "Treue“ Steigert sich zu einem vielschichtigen Werk mit großen Themen
Hanser Berlin, 2022, 416 Seiten Darum geht es: Viel lieber möchte er als mathematisch-psychologisches Genie in die Geschichte der Wall Street und damit in die amerikanische Geschichte eingehen, flankiert von seiner liebevollen, zartbesaiteten, naiven Ehefrau, die seinem Reichtum - zu ihren Lebzeiten und darüber hinaus - einen altruistischen, philantropen Touch verliehen hat. Dazu engagiert er eine Ghostwriterin, die seinem großen Ego hinter seiner spröden Fassade eine authentische Stimme verleihen soll. Dass ihr Vater ein italienischstämmiger Anarchist und antikapitalistischer Aktivist ist, weiß der Auftraggeber längst. Doch die Macht seines Reichtums schirmt ihn von aller Unbill ab. So kann ihm auch der erpresserische Freund seiner Ghostwriterin nichts anhaben. Die zweifelt bei aller Faszination für den Magnaten und dessen Umfeld bald an seinen Angaben. Wer war die Ehefrau wirklich? Das ungelöste Rätsel holt die Ghostwritern Jahrzehnte später wieder ein. In detektivischer Manier schickt sie sich an, es durch die eigene Stimme der Ehefrau zu lösen. So klingt der Roman: Bemerkenswert daran ist die multiperspektivische Erzählstruktur, verwirklicht anhand vierer Dokumente: einer Biographie, einer Autobiographie, eines Memoir und eines Tagebuchfragments. Die unterschiedlichen Tonarten dieser Dokumente und ihrer Erzähler, besonders an ihrem jeweiligen Zeitpunkt in der Literaturgeschichte, finden deutlichen Ausdruck. So liest sich die unautorisierte Biographie wie ein konventioneller Roman des 19. Jahrhunderts. Die Autobiographie ist zwar bombastisch, aber blutleer – und bleibt dennoch im Spannungsbogen des gesamten Romans. Die Ghostwriterin erzählt ihre eigene Geschichte wiederum im eher reißerischen Stil des „New Journalism“. Bewertung: Allerdings fiel es den meisten schwer, in den Roman hineinzufinden, und manche kamen nicht über den ersten Teil hinaus, den sie als zu zäh empfanden. Auch die Schilderung der Börsentransaktionen geriet Fachleuten unter uns nicht ganz gelungen. Der Autor selbst beklagt die „Sprache, in der über Geld geredet wird“, wollte diese im Roman vereinfachen und aus einer männlich dominierten Szene herausholen. Ob dies gelang, bleibt offen. Die Sterbeszenen hingegen fanden Fachleute sehr überzeugend und berührend. Insgesamt erstaunt uns die Fähigkeit des Autoren, sich in beide Geschlechter, verschiedene Epochen und Lebensbereiche einzufühlen. | |
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